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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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verschimmelter Apfelwein, wie Dreck. »Was –?« Er würgte es wieder hinunter. »Was ist das überhaupt?«
    Ihre Augen strahlten. »Ursprünglich fermentierte Stutenmilch. Aber der Boss benutzt die Rindervariante.«
    Charlie sah sie nur an.
    »Kuhmilch. Fermentierte Kuhmilch. Um die Lakto-Bazillus-Kultur zu erzeugen, die Ihr armes, mißbrauchtes Verdauungssystem braucht, damit es die Schäden reparieren kann, die Sie ihm zugefügt haben. Wenn es nicht schon zu spät ist. Austern« ,sagte sie verächtlich. »Rindersteaks. Pommery & Greno. Sie haben sich Ihr ganzes Leben lang vergiftet, Mr. Ossining, und zwar ebenso gewiß, als hätten Sie jeden Morgen einen Tropfen Arsen in Ihren Kaffee getan – vom Gift, das sich im Kaffee selbst befindet, ganz zu schweigen. Nun machen Sie schon«, drängte sie ihn. »Trinken Sie aus. Es wird Sie nicht umbringen.«
    Und so legte Charlie Ossining um Eleanor Lightbodys willen, um ihres Mannes willen, um des Schecks in seiner Tasche und der Zukunft Per-Fos willen den Kopf nach hinten und ließ die faulige, schleimige Flüssigkeit seine Kehle hinunterlaufen, bis er fast daran erstickte. Und dann kam das Essen: Protose-Gans mit einem hijiki -Haselnußgemisch gefüllt, Soja-Gluten-Soße, Nuttolene-Apfel-Salat, Moosbeeren surprise und frittierte Gemüseaustern. Eleanor aß mit Genuß. Charlie zwang sich dazu. Als ihm das Zeug, was immer es war, beinahe wieder zu den Ohren herauskam, als er meinte, der nächste Bissen würde sich wie ein Eispickel in seinen Solarplexus bohren, erschien die Kellnerin mit der Dessertkarte. Er protestierte; Eleanor insistierte. Die Kellnerin brachte ihnen zwei Portionen Kumyßkuchen mit einer großzügigen Beigabe von Kumyßeis.
    Beim Kumyßkuchen erzählte Eleanor ihm, wie unglücklich sie war. Wie depressiv. Wie trübsinnig und niedergeschlagen. Dr. Linniman, der Strahlemann, mit dem er sie auf der Straße getroffen hatte, war fort, er besuchte eine Konferenz in New York und kam erst in zwei Wochen zurück. Und Will war ein Wrack. Er hatte Franks (das heißt, Linnimans) Abschiedsparty am Vorabend versäumt, weil er sich, wie früher erwähnt, betrunken hatte. Wie konnte sie mit so einem Mann glücklich sein? Einem Mann, der billige Trinkgelage und vulgäre Kumpanei der Gesellschaft seiner eigenen Frau vorzog? Einem Mann, der einem Hamburger-Sandwich nicht widerstehen konnte, auch wenn es ihn umbrachte? Sie hatte es versucht, wirklich, das hatte sie. Aber jetzt hatte sie jegliche Hoffnung verloren.
    Charlie murmelte während dieser jammervollen Aufzählung die üblichen tröstlichen Plattitüden, schüttelte tadelnd den Kopf angesichts des Gespensts der vulgären Kumpanei, beklagte die Greuel des Fleischverzehrs. Er war verlegen. Wußte nicht, was er sagen sollte. Aber er genoß jeden Augenblick, genoß jedes Zittern ihrer Lippen und jeden Moment, in dem sie sich die Augen betupfte.
    Scheidung habe sie nie in Betracht gezogen, erzählte sie ihm – in schlechten und in guten Zeiten, bis daß der Tod euch scheide –, aber Will zog sie mit sich in den Abgrund. Sie mußte auf ihre eigene Gesundheit Rücksicht nehmen – sie war eine sehr kranke Frau, wirklich. Mußte sie sich für ihn opfern, sich auf den Scheiterhaufen seines Grabes werfen wie eine dieser fanatischen Hindufrauen in Indien? Verlangte das das Ehegelöbnis?
    Nein, Charlie schüttelte den Kopf, o nein, nein.
    Plötzlich lachte sie, ein bitteres, gebrochenes Lachen, erfüllt von Selbstmitleid und einem mit Worten nicht mehr ausdrückbaren Unglück – das Unglück der Reichen, der Verhätschelten und Verwöhnten. Er neigte sich zu ihr, seine Miene angemessen bekümmert. »Aber ich sollte Sie damit nicht belasten, Mr. Ossining – Charles. Ich bin sicher, Sie haben Ihre eigenen Probleme. Und wir kennen uns ja kaum –«
    »Ja«, sagte er. »Vielmehr nein. So empfinde ich es überhaupt nicht, Eleanor. Wir sind Freunde, nicht wahr? Jeder braucht mal eine Schulter, an der er sich ausweinen kann.« Klischees, danach verlangte der Augenblick, nach Plattitüden und Gemeinplätzen. »Und dafür sind Freunde da.« Und er wollte gerade zu einer Rede über das Thema Freundschaft und ihre tiefer reichenden Implikationen ansetzen (er wollte sie, wollte sie auf jede erdenkliche Art, er wollte ihre Unterschrift auf dem Scheck, wollte ihre Haut auf seiner spüren, ihre nackten Brüste, ihre Zunge, ihre Lippen, ihr Haar), aber er hatte keine Gelegenheit dazu. In diesem Augenblick, gerade als er gegen den

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