Willkommen in Wellville
zu halten, dann war er sich sicher, einen langen, gewundenen Strang heißglühenden Drahts verschluckt zu haben.
Er wußte nicht, wie er ins San zurückgekommen war oder wie er in sein Bett gefunden und durch die Mauer des Bewußtseins ins Reich des Vergessens eingebrochen war. Er erinnerte sich nur noch an den nächsten Morgen, den Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags, und an den alten Schmerz, der zurückgekehrt war wie ein wiedergeborener, finsterer Racheteufel: Er erinnerte sich nur noch an die Toilettenschüssel und das Waschbecken. An diesem ersten Tag hatte er nur zwei Besucher – Schwester Bloethal und Eleanor. Schwester Bloethal erkannte seinen Zustand auf einen Blick, verzichtete gnädigerweise auf das heiße Wachs und die Molkekultur und sagte das vormittägliche Programm, bestehend aus Schwedischen Körperbewegungen, Lachübungen und Sinusbad, ab. Wenn sie etwas über Homer Praetz und die Ereignisse des Vortags wußte, so verlor sie darüber kein Wort. Will kotzte, schiß und zitterte. Er erwähnte nicht, daß er das San verlassen hatte, sprach nicht von Charlie Ossining, Soleiern oder dem Red Onion, obwohl die Schwester die nicht verabreichten Milchportionen zählen und sich ihren Teil denken konnte.
Eleanor tauchte gegen neun auf, erzürnt und mit roten Ohren und Nasenflügeln. Wo war er gewesen? Sie hatte ihn überall gesucht, bevor sie es aufgegeben und allein zu Franks Party gegangen war – beziehungsweise mit Mrs. Rumstedt, um den Schein zu wahren. Aber daraus machte sich Will wohl nicht viel, oder? Ihr eigener Mann! Und noch dazu am Heiligen Abend! Nun? Wo war er gewesen?
»Ich bin krank«, krächzte er. Draußen vor dem Fenster war es grau wie im Grab, die Wolken waren vom Himmel gefallen und drückten auf die Erde, als gäbe es nichts dazwischen, keine Bäume, keine Häuser, kein Leben.
Eleanor stolzierte durchs Zimmer und schleuderte ihre Handtasche auf den Tisch. Sie war feiertäglich grün und rot gekleidet. »Ich bin auch krank«, rief sie, als die Handtasche mit einem harten tödlichen Knall auf dem Tisch aufschlug, als wäre sie ein Totschläger oder Knüppel. »Krank bis auf den Tod angesichts dieser deiner … deiner Haltung. Wo bist du gewesen? Antworte mir!«
Wo war er? Wo war er gewesen? Schon als sie fragte, schon als sie eine Antwort forderte, zuckte eine lebhafte, wenn auch unzusammenhängende Serie von Bildern durch seinen Kopf, wirbelte durcheinander, von Homer Praetz’ nackten, faltigen weißen Fußsohlen über das braune Schimmern des Whiskeys im Glas bis zu Charlie Ossinings gespitzten Lippen, die eine Auster schlürften. Homer Praetz, dachte er, Homer Praetz. Mit ihm hatte es angefangen, dessen war er sich sicher. Oder hatte es mit Irene angefangen und der Art, wie sie ihm und seiner Dankbarkeit den Rücken kehrte? »Homer Praetz«, murmelte er, umklammerte seine Schultern mit den Armen und drehte den Kopf zur Seite. »Er … er ist tot.«
Eleanor stand jetzt vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, zwischen ihren Augen eine Falte, eine vertikale Furche, die erschien, wenn sie wütend war. »Du hast getrunken«, klagte sie ihn an. »Das war’s, stimmt’s? Nach allem, was ich für dich getan habe, nach allem, was Frank und Dr. Kellogg und diese selbstlosen Schwestern und Diätassistentinnen und ich weiß nicht wer alles für dich getan haben, was machst du, kaum läßt man dich allein? Du gehst trinken« – sie schleuderte ihm das Wort ins Gesicht, aufgebläht vor Ekel –, »schüttest Whiskey und Bier und Gin in dich hinein wie irgendein heruntergekommener Penner auf der Straße, fällst sofort in deine alten Gewohnheiten zurück, als wäre das Ganze ein Witz. Was hast du dir bloß dabei gedacht? ›Ich genehmige mir einen kleinen Schluck, weil Feiertag ist?‹ Was? War es das? Ein feuchtfröhliches Weihnachten?« Sie gab ihm keine Möglichkeit zu leugnen, zu bitten, zu protestieren oder auch nur den Mund aufzumachen. »Will Lightbody, antworte mir. Und trau dich ja nicht, mich anzulügen, trau dich ja nicht!«
Will gestand. Er war ein Dummkopf, daß er alles zugab, aber er tat es.
Eleanor war nicht zu bremsen. Sie wütete, raste, stellte ihn zur Rede, predigte, hielt Vorträge, brach in Tränen aus, und dann, in einem wilden geladenen Exzeß von Enttäuschung und Haß, schlug sie mit ihren geballten, harten, physiologischen Fäusten auf seine dünnen, bibbernden Knochen unter der Decke ein. Es war Weihnachten, er auf das Krankenlager geworfen, und
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