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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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jeden eine Schale füllte, sah Charlie, daß ihr Inhalt grünen Holzspänen mit bogenförmigen Rändern glich. Bender machte einen Witz von wegen Tischgebet, George schnarrte irgend etwas Unverständliches, die Milch wurde herumgereicht, die Löffel eingetaucht.
    Es herrschte Schweigen. Draußen hatte ein leichter Eisregen eingesetzt, der anzüglich an die Fenster klopfte. George war der erste, der jegliche Zurückhaltung aufgab. Mit einem gräßlichen Grollen von Gaumen, Sinus und Ösophagus würgte er einen Pfropfen Per-Fo #13 C heraus und spuckte ihn in die Hand. »Himmelherrgott!« keuchte er, und ein krampfhaftes Schütteln durchfuhr seinen Körper, »man hat mich vergiftet!« Im nächsten Augenblick preßte er als Palliativ die Flasche an den Mund, und alle Geschmackstester, die alte Mrs. Bookbinder als erste, spuckten stillschweigend ihren Mundvoll in Serviette, Schale oder Hand. Laute der Erleichterung, der Überraschung, des Kummers, der Panik, des Ekels zirkulierten um den Tisch. Bookbinder stand schwerfällig auf, sammelte die Schalen ein und leerte sie eine nach der anderen in den Abfalleimer für die Schweine. Dann war Ladung # 21 A an der Reihe.
    Die Laterne glühte grell. Der Regen fiel. Die Nacht war lang. Alle vier Kostproben wurden mit unterschiedlichem Ausmaß an Abscheu verworfen, und als Bookbinder in den Keller ging, um Kostproben der nächstmeistversprechenden Kästen zu holen, ermunterte ihn niemand mit auch nur einem Wort. Diesmal brachte er fünf Proben, und die Löffel tauchten lustlos in die Tiefe der Schalen. Am Ende bekamen die Schweine alles, alle siebenundzwanzig Ladungen der ersten Serie von Kellogg’s Per-Fo, und am traurigsten war, daß nicht einmal sie es fressen wollten.
     
    Wenn Charlie enttäuscht war, dann ließ er sich davon nicht unterkriegen. Es war ein kleinerer Rückschlag, ein kleines Hindernis auf ihrem Weg zum Erfolg, und er zweifelte nicht daran, daß Bender die Sache schon regeln würde. Zu Bookbinder hatte er vielleicht nicht ganz soviel Vertrauen – es hieß, daß er von einer mittlerweile bankrotten Firma von Post Foods weggelockt worden war und daß er eine hübsche Summe dafür bekommen hatte, aber wer wußte schon, ob das stimmte? –, aber auch das bedeutete nicht das Ende der Welt. Wenn Bookbinder nicht in der Lage war, Per-Fo zu etwas Wohlschmeckendem – oder zumindest Eßbarem – zu machen, nun, dann mußten sie den Verlust als einen Gewinn an Erfahrung verbuchen und jemanden finden, der dazu in der Lage war. Es war ein Rückschlag. Eine Enttäuschung. Aber es gab immer einen Weg.
    Mit fünfundzwanzig war Charlie Ossining ein Optimist durch und durch. Und warum auch nicht? Die Schicksalsgöttinnen hatten ihn angelächelt, und den größten Teil seines Lebens hatte er in der Sonne verbracht. Als Charles Peter McGahee in der Kleinstadt Ossining-on-Hudson als Sohn irischer Immigranten geboren, die sich energischer mit dem Entkorken von Whiskeyflaschen beschäftigten als mit der Beschaffung solcher Kleinigkeiten wie Brot oder Fleisch oder einem Dach über dem Kopf, war er eigentlich für die Gosse bestimmt, hätte er eigentlich die übliche harte, entbehrungsreiche Kindheit durchleiden müssen. Aber es war anders gekommen. Seine Schutzgötter setzten sich durch in Gestalt seiner Wohltäterin, Mrs. Amelia Dowst Hookstratten. Cullum, sein Vater, überredete die Witwe Hookstratten, weitgehend dank wortreicher Ausdauer und der Kraft einer fiebrigen, überaktiven Phantasie, ihn neben Mary, Charlies Mutter, die bei ihr als Köchin und Stubenmädchen arbeitete, als Pförtner, Mädchen für alles und Majordomus ihres Anwesens in Tarrytown einzustellen. Charlie war damals vier Jahre alt, frühreif, verfügte über ein gewinnendes Wesen, die weitaufgerissenen Augen und das allzeit bereite Grinsen des geborenen Hochstaplers (oder auch Pfarrers, Tycoons oder Senators).
    Von Anfang an legte Mrs. Hookstratten ein brennendes Interesse für das Kind an den Tag, kleidete es in die Stiefel aus edlem Kalbsleder und die Jacken aus englischem Tweed, die ihr eigener Sohn (damals Mitte Zwanzig und eine Größe an der New Yorker Börse) in seiner Jugend getragen hatte. Der Knabe entzückte sie. Gab ihr das Gefühl, gebraucht zu werden, wieder jung und unentbehrlich zu sein; er verlieh ihren Vormittagen Glaubwürdigkeit und ihren Nachtmittagen Regelmäßigkeit. Vor allem aber half er ihr, die Leere auszufüllen, die der Tod ihres Mannes hinterlassen hatte.
    Sie nahm auch

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