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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Glauben, daß die erhöhte Dosis die Zeilen von Porzias Rede über die Arten der Gnade unauslöschlich in seinem Kopf speichern würde, aber als er aufstand, um sie vor der Klasse aufzusagen, konnte er sich an nichts anderes als an den Ausdruck »zwiefach gesegnet« erinnern. Die zwei Worte blockierten sein Gehirn wie ein abgebrochener Zahn ein Zahnrad, bis die Klasse in Lachen ausbrach und der Lehrer ihn aufforderte, sich zu setzen. Er versuchte es mit drei Pillen, vier, fünf, nahm sie auf nüchternen Magen, nach dem Essen, bevor er zu Bett ging, sofort nach dem Aufstehen. Er investierte sechs Dollar und schluckte dreihundert Tabletten, bis er begriff, daß man ihn übers Ohr gehauen hatte. Die Pillen waren nutzlos, wertlos, hatten nicht mehr Wirkung, als wenn er Baumrinde oder das Gras vom Sportplatz gekaut hätte.
    Da war er, der Schlaueste von den Schlauen, hatte nach der einfachsten Möglichkeit gesucht, die Anforderungen von St. Basil’s zu umgehen, nach einer Möglichkeit, das System auszutricksen, und er hatte sein ganzes Taschengeld für das halbe Schuljahr für eine Attrappe hinausgeworfen, für einen Gaunerstreich, eine Bauernfängerei, auf die nicht mal der dümmste und begriffstutzigste seiner Schulkameraden hereingefallen wäre. Er war reingelegt worden, weil er verwundbar war, weil er bedürftig war, schwach, weil er die Hoffnung des Tölpels hegte. Das war eine Lektion. Eine wertvollere Lektion als alles, was Mr. Petrussi oder Dr. Van Osburgh ihm je beigebracht hatten. Und wer war der Mann, der sich die Gedächtnistabletten ausgedacht hatte, der die Anzeige in die Zeitschrift gesetzt und zugesehen hatte, wie ihm das Geld einer Legion von Trotteln und Schwachköpfen aus dem ganzen Land zufloß? Wer war er? Das war ein echtes Genie. Das war ein Mann, von dem man sich was abgucken sollte.
    Als er mit sechzehn von der Schule ging, war Mrs. Hookstratten enttäuscht. Er kehrte nicht nach Hause zurück, schrieb nicht, ließ kein Wort von sich hören, gab keine Erklärungen ab. Er packte einfach eines Abends seine Sachen zusammen, fuhr mit dem Milchfuhrwerk nach Peterskill und nahm mit großer Ernsthaftigkeit das Billard-Studium auf. Nach einer Woche erschien er hungrig im Pförtnerhaus. Sein Vater lamentierte auf eine Art, die zu seinen blutunterlaufenen Augen und seinem schludrigen Mundwerk paßte, seine Mutter stöhnte über ihre Schmerzen und Zuckungen, Mrs. Hookstratten flehte ihn inständig an. Vergebens. Als er siebzehn war, lebte er in einem gemieteten Zimmer über einem Kurzwarenladen in Tarrytown, verdiente sich seinen Lebensunterhalt recht und schlecht mit Karten-, Würfel- und Billardspiel. Er trank, aber ganz anders als sein Vater, und er fand Frauen, die ihn trösteten und bei Laune hielten, ging aber keine Bindungen ein. Erst als er etwas gereifter war und die Spiele um fünfundzwanzig Cent, die Gasthäuser und die Faustkämpfe und die Frauen, die glaubten, daß »Örter« der Plural von »Ort« sei, allmählich satt hatte, kehrte er zu Tantchen Hookstratten zurück. Und dann auch nur, weil er Bender kennengelernt hatte und weil er ein Ziel, eine Vision vor Augen hatte – weil er Per-Fo hatte.
     
    Eine Woche nach dem kläglichen Scheitern ihrer Anstrengungen in Bookbinders Keller schickte Bender Ernest O’Reilly zu Mrs. Eyvindsdottir, um Charlie ins Post Tavern Hotel zu beordern. Charlie ging durch den Dienstboteneingang und die Hintertreppe hinauf, wie er es jetzt für gewöhnlich tat, um dem Portier und dem Türsteher nicht zu begegnen (wiewohl er nicht vergessen hatte, daß er ihnen noch etwas schuldete, aber er gedachte, es ihnen eines Tages mit Zinsen zurückzuzahlen). Bender war fürstlich gekleidet in einen Hausmantel aus roter Seide, seine Nase glühte aufgrund unzähliger heilkräftiger Dosen Otard Dupuy. Unbeirrbar seinem Ziel verschrieben, hatte Charlie es längst aufgegeben, sich wegen der Ungleichheit zwischen seinem und dem Lebensstil seines Partners Gedanken zu machen. Bender war Bender, und mehr war dazu nicht zu sagen. Wenn Per-Fo florieren würde, gäbe es noch genug Luxus für ihn.
    »Charlie, Charlie, mein Junge, mein Junge«, rief Bender – er mußte alles immer zweimal sagen – und durchquerte das Zimmer, um Charlie in einer eruptiven Umarmung, wie sie einem nach Brandy duftenden Tycoon anstand, an sich zu drücken. Er ließ ihn los und deutete mit fürstlicher Geste auf einen Sessel. »Setz dich«, sagte er, »es gibt etwas, was ich mit dir besprechen

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