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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Charlies Schulbildung in die Hand – und obwohl sie überzeugte Demokratin war, war sie doch der Ansicht, daß die Dorfschule die Zuflucht der Ungehobelten, der Ausländer und der Rüpel war. Demgemäß verbrachte Charlie die Volksschuljahre in Mrs. Partridges Schule für junge Herren in Briarcliff Manor, wo er in gutem Benehmen, Latein und Musik unterrichtet wurde, ebenso wie in Lesen, Schreiben und Rechnen, und später besuchte er St. Basil’s in Garrison. Als Mrs. Hookstratten in ein geräumigeres Haus etwas südlich von Peterskill zog, tat sie es selbstverständlich, um ihren Reichtum besser zur Schau stellen zu können, um den ihr angemessenen Rang einzunehmen kraft der Investitionen ihres verstorbenen Mannes, deren Erträge jetzt ihr weitblickender Sohn verwaltete, aber auch – und das gestand sie nicht einmal sich selbst ein –, um näher bei Charlie zu sein; das heißt, wenn er gelegentlich am Wochenende nach Hause kam. Und Charlie zuliebe nahm sie auch Cullum und Mary mit, obwohl Charlies Vater als Trinker weit fortgeschritten war und man sich nicht einmal mehr darauf verlassen konnte, daß er das Tor öffnete, wenn es die Gelegenheit erforderte, und Charlies Mutter eine Unmenge mysteriöser Leiden entwickelt hatte, von einem Rauschen in den Ohren zu einem unerkärlichen Zittern der Finger und Zehen, die sie mehr oder weniger daran hinderten, zu kochen, zu putzen, Töpfe zu scheuern oder die Bettwäsche zu wechseln.
    Ja, Charlie wurden alle Vorteile zuteil, aber wie es so oft unter solchen Umständen geschieht, lehnte er sie ab. Natürlich nicht von Anfang an, aber im Lauf der Zeit entwickelte er eine wachsende Abneigung gegen die Erwartungen, die die Gesellschaft an ihn richtete, und war mehr und mehr fasziniert von denjenigen, die außerhalb dieser Erwartungen lebten, die das Leben dank ihres Gripses, ihrer Instinkte, ihrer Gelassenheit und ihrer Ausgeglichenheit meisterten. Es war während seiner Zeit in St. Basil’s, daß ihm diese neue Sichtweise zunehmend attraktiver erschien. Er war damals fünfzehn, ein Experte im Faustkampf, ein guter Läufer, ein Athlet ohne Ehrgeiz, ein mittelmäßiger Schüler. Intellektuelle Leistungen interessierten ihn nicht. Prüfungen, Tests, Aufsätze, Auswendiglernen von Fakten, Niederschreiben von Worten, all das war Folter für ihn, Zwangsarbeit, Arbeit für die Unterschicht und für Gefängnisinsassen – und es war noch nicht einmal bezahlte Arbeit, das war am schlimmsten. Mrs. Hookstratten mußte sie bezahlen – Dr. Van Osburgh und die anderen –, damit sie ihn mit Namen und Daten und Zahlen, mit Geometrie und Altertumsgeschichte traktierten. Charlie wollte da raus. Er träumte davon, wegzulaufen und sich selbständig zu machen; er wollte ein potenter Geschäftsmann werden, egal in welcher Branche, die sichtbaren Insignien erwerben – das Haus, den Wagen, den Billardtisch –, die der Welt demonstrieren würden, daß er nicht nur der Sohn eines Pförtners war. Und was hatte St. Basil’s Academy damit zu tun?
    Eines Abends, als er eine Ausgabe von Scribner’s durchblätterte, weil er es nicht mehr ertrug, die Namen und Regierungszeiten aller englischen Regenten von Egbert von Wessex und Ethelred II. bis zu Königin Victoria auswendig zu lernen, blieb sein Blick an folgender Anzeige hängen:
     
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    Hier war ein einfacher Ausweg. Ein Wunder. Plötzlich sah er einen Weg, der beste Schüler zu werden, Mrs. Hookstratten zufriedenzustellen und seine wahre Bestimmung als Geschäfts- oder Finanzmann zu erreichen – und all das ohne eine Spur von Anstrengung. Er warf schnell einen Blick über die Schulter, um festzustellen, ob Wapner, sein Zimmergenosse, ihn beobachtete, dann riß er die Seite aus der Zeitschrift, faltete sie sorgfältig und steckte sie in seine Tasche.
    Charlie investierte einen Dollar und bestellte die Tabletten. Am Tag, als sie eintrafen, nahm er eine, aber sie schien nicht viel zu nützen bei den lateinischen Konjugationen, und er bekam die schlechteste Note. Am nächsten Tag nahm er zwei, im

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