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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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um zwölf Uhr mittags stattfinden sollte, mit dem im Sanatorium üblichen Trara, einem formellen Mittagessen im Freien und später einem »Waldmurmeltierball und Kotillon«. Nein, sie wären mit ihrem eigenen intimen, prognostischen Auftritt beschäftigt – um Punkt zwölf Uhr sollte Will unter das Messer.
    Einen Monat lang war er verschont worden, einen Monat, während dem er unablässig von Dr. Linniman untersucht und mit dem am Bart zupfenden, die Lippen kräuselnden, unangemessen grinsenden und um Auskünfte verlegenen Personal der Dickdarmabteilung konfrontiert worden war. Die Untersuchungen waren wiederholt und nochmals wiederholt worden. Psyllium und Algen waren vom Diätplan verschwunden, er trank erneut Milch. Trauben gab es nicht. Und Dr. Kellogg war auch nicht da. Er war verschwunden, zu dringenden medizinischen Aufgaben an einen fernen Ort abberufen, von dem er erst kürzlich zurückgekehrt war, braungebrannt wie eine Walnuß und serviert in der steifen weißen Serviette seines Kammgarnanzugs.
    Während dieser Zeit – den ganzen Monat Januar über – blieb Wills Zustand unverändert. Er besserte sich nicht und verschlechterte sich nicht. Sein Tagesablauf stand unerschütterlich fest, die üblichen Behandlungen waren erneut aufgenommen worden (mit Ausnahme des Sinusbades – da blieb Will hart). Er unternahm keine Schlittenfahrten, machte keine Besuche beim Juwelier, schaute nicht im Red Onion vorbei (jedesmal, wenn er das Haus verließ, um über das Sanatoriumsgelände zu schlendern, wurde er beschattet, um sicherzustellen, daß er der Versuchung nicht erlag). Sein Magen war ein Loch voller Säure, Stuhlgang hatte er keinen, die Klistiere nahmen kein Ende. Alles, was er wollte, war, nach Peterskill zurückzukehren, fort vom San und von Dr. Kellogg und seiner Fixierung auf Mund und Anus, aber die ganze Institution rebellierte angesichts dieser Vorstellung. Ärzte und Schwestern waren mit Eleanor einer Meinung: Es wäre Selbstmord. Und was Eleanor anbetraf, sie wollte noch mindestens drei Monate bleiben. Vielleicht länger.
    Und deswegen das Messer. Und deswegen sollten der Magen, der nicht arbeitete, und die Gedärme, durch die nichts fließen wollte, in ihrer blutigen, nassen Höhle aufgestört, gepikt, untersucht, gehoben, gewogen und beurteilt werden – und dann, wenn es der allmächtige Doktor für notwendig befand, dann sollte gestutzt, geschnetzelt, durchgeschnitten, verstümmelt werden. Und das war es, was Will Lightbody an diesem windigen, bewölkten Tag des Waldmurmeltiers bevorstand.
     
    Vorher, beim Frühstück (die Doktoren Linniman und Kellogg bestanden darauf, daß er seine Mahlzeiten im Speisesaal einnahm, auch wenn er in Gesellschaft derjenigen, die mit ihm nach dem physiologischen Ideal strebten, nur ein Glas Milch an die Lippen hob oder wie an diesem Tag wegen der Operation gar nichts zu sich nahm), war Eleanor zu ihm an den Tisch gekommen. Will war in Hochstimmung. Da war seine Frau, dieses elegante Paradestück im hohen Spitzenkragen und mit Juwelen behangen, Schmuckstück und Inspiration, und sie hatte die Gesellschaft ihrer eigenen erlesenen, brillanten Gruppe verlassen, um Besorgnis für ihn zu bekunden, ihren Mann, der die Belastung einer Operation zu gewärtigen hatte. Als sie sich auf Professor Stepanovichs Platz setzte (er war nach Rußland zurückgekehrt, spähte durch sein Teleskop, versuchte verzweifelt, die Glaubwürdigkeit der Saturnringe wiederherzustellen), spürte Will, wie ihm Tränen der Dankbarkeit in die Augen schossen. »Eleanor«, sagte er und wurde rot vor Stolz, »was für eine Überraschung«, und dann stellte er sie seinen Tischgenossen vor, die sie, wie sich herausstellte, alle bereits kannte dank ihrer gesellschaftlichen Aktivitäten und als Vorsitzende des Tief-Atem-Clubs.
    Ganze dreißig Sekunden lang war Eleanor besorgt und zärtlich, fragte, wie er sich fühle, machte ihm Mut, erkundigte sich, ob sie etwas für ihn tun könne, aber dann bestellte sie ihr Frühstück, sah auf und beteiligte sich an der allgemeinen Unterhaltung. Fünf Minuten später merkte Will, daß er gereizt wurde: Sie ignorierte ihn. In der Tat ignorierte sie fast den ganzen Tisch – den wiehernden Hart-Jones, Mrs. Tindermarsh, die zunehmend schrumpfende Miss Muntz – zugunsten des Neuankömmlings in Wills Gruppe, des großköpfigen Großmauls namens Badger. Wie er alle immer wieder wissen ließ, war Badger Präsident der Vegetarischen Gesellschaft Amerikas und eine Sehr

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