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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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überzog, die Baumfrösche in ihren Schlammlöchern aufschreckte und Bjork Bjorksson mit verdutzten Skunks, Stachelschweinen, Bibern und Opossums versorgte, die unverhofft in seine Fallen tappten. Kühe und Ziegen erwischte es auf den Weiden, hastig wurden die Schlitten wieder aus den Schuppen gezerrt; zwei landwirtschaftliche Fuhrwerke und ein brandneuer Ford Model T stießen auf der vereisten Washington-Street-Brücke zusammen. Am achtzehnten, nach einem Tauwetter, das trügerisch die Krokusse und Schneeglöckchen ermutigte, herrschte harter Forst, gefolgt von einem eisigen Sturm, der die Bäume in Skulpturen aus Kristall verwandelte und die Straßen zu einer durchgehenden Eisfläche zusammenschloß. Auch die Vögel kamen spät. Die Vogelhäuschen des San waren überlaufen von Spatzen und Eichelhähern und Staren, die jetzt erst begonnen hatten, die Gegend zu kolonisieren, aber Rotkehlchen, Schwarzdrosseln und Goldamseln waren überhaupt noch nicht zu sehen. Es war bereits Mai, als der Stinkkohl durch den Schlamm der Sümpfe trieb, der Rhabarber die hinterste Ecke des Gartens rot färbte und die Baumfrösche endlich herauskrochen und mit ihrem liebeskranken Vibrato an den Rändern der Nacht sägten.
    Wie jedermann in Battle Creek, möglicherweise mit Ausnahme von Bjork Bjorksson und ein paar Schlittenfahrern, war John Harvey Kellogg enttäuscht. Er war bereit, etwas zu unternehmen, gegen den Ennui anzukämpfen mit Picknicks, Angelausflügen, Bädern im Freien und der Krönung der Maikönigin. An Abe Lincolns Geburtstag hatte er seinen Bart schwarz gefärbt und einen Zylinder aufgesetzt, an den Iden des März war er in Toga und mit Lorbeerkranz aufgetreten, an Ostern hatte er hundert weiße Hasen laufenlassen. Das alles war ein Mordsspaß gewesen, sicher, ein den Festtagen angemessenes Vergnügen. Aber für einen Mann, der an die heilenden Kräfte des Lichts glaubte, war der andauernde Frost eine harte Prüfung. Er hatte alle erdenklichen Blumen in der künstlichen Umwelt der San-Treibhäuser gezogen, und er hatte seinen Palmengarten und seine Pflanzen in elektrisch beleuchteten Kästen, aber seine Florida-Bräune war längst verblaßt, und er fühlte sich enerviert wie ein Lappländer oder Eskimo, dem so lange das einzig Wahre, Helios, die warme, nährende Sonne der sommerlichen Tagundnachtgleiche, vorenthalten wird.
    An diesem Abend, einem Montag abend Anfang Mai, bereitete er sich darauf vor, seinen Patienten einen Vortrag über die Unbekömmlichkeit des Fleisches zu halten. Niemand hatte ihn direkt darum gebeten, das Thema anzusprechen, niemand hatte während der vergangenen Woche den entsprechenden Zettel in den Fragekasten geworfen, aber davon ließ er sich nicht abhalten. Über die Jahre hatten sich die Fragen der Patienten als schmerzlich speziell herausgestellt – Was tue ich gegen einen entzündeten Ballen am großen Zeh, außer größere Schuhe tragen? Miss M.S.; Hat ein Gewächs am Hals, direkt unter dem rechten Ohr, irgend etwas mit einer trägen Leber zu tun? Mr. R.P.P.; Kann das Schielen bei einem Kind durch Auflegen von Kräuterkompressen korrigiert werden? Mrs. L.L. –, und obwohl es ihm Vergnügen bereitete, sie zu beantworten und dabei die Diskussion in einen größeren Zusammenhang zu stellen, so fühlte er sich doch in keiner Weise dazu verpflichtet. Wenn niemand die Frage nach dem Fadenwurm im Schweinefleisch oder nach Taenia saginata, dem gemeinen Bandwurm, stellte, und diese ihn zufällig, wie im Augenblick, sehr beschäftigten, nun, dann würde er trotzdem über diese Parasiten und den sehr realen Schrecken sprechen, den sie verbreiteten. Der Fragekasten war schließlich kein Instrument demokratischer Stimmabgabe – er, der Arzt, war dazu da, seinen Patienten zu erzählen, was sie am dringendsten wissen mußten. Was sie wissen wollten, war etwas ganz anderes; bisweilen stimmte es haargenau mit seinen Bedürfnissen überein und bisweilen eben nicht. An diesem Abend war letzteres der Fall. Aber er hatte eine Vorführung geplant, o ja, das hatte er, die sie ihr Leben lang nicht vergessen würden.
    Um fünf vor acht holte ihn Bloese in seinem Büro ab, und der Doktor ging den Korridor entlang, durch die Eingangshalle und in den Südflügel, er nickte, lächelte, grüßte auf Schritt und Tritt Patienten und Personal. Applaus brach aus, als er den Großen Empfangssaal betrat, Applaus, der sich rasch ausbreitete und lauter wurde, bis er das Niveau einer Ovation erreichte, als sich das gesamte

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