Willkommen in Wellville
verkündete er forsch-fröhlich), die noch in Tuckermans steifes weißes Papier eingewickelt und mit Tuckermans Schnur umwunden war. Er wies Frank Linniman an, drei dünne Scheiben Fleisch abzuschneiden und sie unter die Mikroskope zu legen, die nebeneinander auf einem Tisch hinten auf dem Podium standen. Dann bat er um drei Freiwillige aus dem Publikum, die die Scheiben begutachten und im Muskelgewebe nach den verräterischen Kringeln Ausschau halten sollten.
John Hampton Krinck, das verkommene, rückfällige, nihilistische Subjekt, wedelte energisch mit der Hand, aber der Doktor ignorierte ihn. Der Anlaß verlangte nach ein wenig weiblicher Schönheit, dem wohlgeformten Knöchel und dem athletischen Busen. Jetzt fehlte Ida Muntz, und für den winzigen Bruchteil einer Sekunde verspürte er einen Stich der Unsicherheit – er hätte sie nie aufgenommen, wenn er geahnt hätte, wie ernst ihr Zustand war. Bleichsucht. Das war nichts Ernstes. Und doch war sie einer seiner eklatantesten Fehlschläge, die allerschlechteste Sorte Reklame. Bei der Beerdigung hatte es fast so ausgesehen, als würden ihre Eltern – ekelhafte Menschen, trotz all ihres Geldes – ihm die Schuld an ihrem Tod geben, als hätte er nicht alles in seiner Macht Stehende getan, um die vielen Jahre karnivor bedingter Schädigung, die hinter ihr lagen, rückgängig zu machen. Und doch fragte er sich: Hatte er ihr eine zu hohe Dosis Radium verordnet? Eine zu geringe? Hielt das Element, was es versprach?
Aber es hatte keinen Sinn, sich wegen verschütteter Milch die Augen auszuweinen, und er verscheuchte den Gedanken und wählte Eleanor Lightbody – eine umwerfend aussehende Frau, bildschön, zweifellos, aber zu dünn: hungerte sie? – und eine junge Dame aus Hohokus, New Jersey, die ihm ihren Namen nennen mußte – ein Ärgernis: warum hatte er in letzter Zeit Schwierigkeiten mit Namen, ließen seine geistigen Kräfte nach? –, und Vivian DeLorbe, die Schauspielerin vom Broadway. Alle drei fanden die unverkennbaren Beweise, die bösen kleinen Würmer; aufgerollt wie Schnecken in ihren Häusern, warteten sie nur darauf, sich herauszuwinden und in einen nichtsahnenden Körper einzudringen. Miss DeLorbe gab sogar ein paar sehr zufriedenstellende und hochtheatralische Ausrufe des Ekels von sich.
Es war eine berückende Darbietung, aber nichts verglichen mit dem, was noch kommen sollte. Nachdem die Bühne geräumt war und das Publikum eine Weile Zeit gehabt hatte, um über die Qualität des Fleisches nachzudenken, das Battle Creeks bester Metzger im Angebot hatte, und was das für die Qualität anderswo verkauften Fleisches bedeutete, kehrte der Doktor zu der Frage des Pseudonyms »W.B.J.« zurück und sprach ausführlich über den Bandwurm. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Beschreibung der erwachsenen Form des Wurms und der Haken, mittels deren er seinen Skolex an der menschlichen Eingeweidewand befestigt, und nachdem er dem Publikum seine Ansicht erschöpfend dargelegt hatte, bat er Frank Linniman, sich mit einem Glas unter die Zuhörer zu mischen, in dem ein sechzig Zentimeter langes Exemplar konserviert war.
»Ich erinnere mich gut an den Patienten«, begann der Doktor und schwelgte in Erinnerungen, während der Bandwurm in Dr. Linnimans fähigen Händen seine Runde machte. »Er war ein wohlhabender Mann, ein Rechtsanwalt, der als Gründungsmitglied einer der großen New Yorker Kanzleien an die Spitze seines Berufsstandes aufgestiegen war – in diesem Saal werden sich nur wenige befinden, die nicht von seiner Firma gehört haben. Ich war damals Assistenzarzt im Bellevue, und der Mann tat plötzlich und ohne Vorwarnung seinen letzten Atemzug aufgrund von Komplikationen, verursacht durch akute Autointoxikation – er war ein regelmäßiger Gast in Wirtschaften und Steakhäusern. Während der Autopsie, die zu beaufsichtigen ich die zweifelhafte Ehre hatte, tauchte dieser kleine Artgenosse auf, vollständig erhalten und noch immer sehr lebendig.« Im ganzen Saal gab es nicht ein einziges Gesicht, nicht einmal das von Krinck, das nicht weiß geworden war. »Ich wollte Ihnen diese kleine Geschichte nicht vorenthalten«, fuhr der Doktor fort, »für den Fall, daß Sie irgendwann in Ihrem Leben noch einmal versucht sein sollten, zu einer karnivoren Ernährungsweise zurückzukehren. Möchte jemand Wiener Würstchen? Wie wäre es mit einem schönen, blutigen Schweinskotelett?«
Fragen prasselten auf ihn ein, alle in einem anämischen Tonfall
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