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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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großen Eichentüren am Ende des Saals und noch weiter – im Korridor drängten sich bestimmt zwanzig, dreißig Menschen. »Heute abend, meine Damen und Herren, möchte ich Ihnen etwas über die Parasiten erzählen – über die Würmer, wenn Sie den Ausdruck gestatten –, die sich in jedem Stückchen Fleisch winden, das Sie bewußt oder unbewußt im Lauf Ihres Lebens zum Mund geführt haben – das heißt, bevor Sie zur biologischen Lebensweise konvertiert sind.«
    Es war ein Augenblick höchsten Glücks für den kleinen Doktor, einer der Augenblicke, für die er lebte, der Augenblick, in dem ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Publikums sicher war. Kein Murmeln, kein Gähnen, kein Seufzer war zu hören: Er hatte sie fest in der Hand. »Nun gut«, sagte er, »beginnen wir mit dem Fadenwurm. Trichinella spiralis, um genau zu sein. Diese Geißel der Menschen wie der Tiere – erst kürzlich hat man sie bei so unterschiedlichen Tieren wie dem amerikanischen Schwarzbären und dem afrikanischen Flußpferd gefunden – verdankt seine widerliche Existenz im menschlichen Körper einzig und allein fleischfressenden Praktiken, beim Menschen insbesondere dem Verzehr von Schweinefleisch. Kein Wunder, daß die alten Völker der Levante, Hebräer wie Araber, dieses schmutzige Tier von ihrem Tisch verbannten … Hätten sie nur auch Lamm- und Rindfleisch verbannt«, fügte er mit einem wehmütigen Seufzer hinzu.
    »Jedenfalls entläßt inadäquat dressiertes und unsachgemäß zubereitetes Schweinefleisch, wenn es als Nahrung aufgenommen wird, die Trichinenlarven aus ihren Kapseln oder Ruhezellen, Ruhezellen, in denen sie für einen unbestimmten Zeitraum – in vielen Fällen Jahre – im Muskelfleisch ihres Wirts überleben. Sobald dieses Fleisch verzehrt wird, verlassen die Larven diese Kapseln und vermehren sich im Verdauungssystem, wobei jeder Wurm bis zu tausend Nachkommen produziert. Die jungen Würmer bohren sich durch die Wände des Verdauungstrakts und werden vom Blut zu ihrem endgültigen Ziel getragen, den Muskelfasern des Körpers. Und dort bleiben sie, in den steinharten Ruhezellen, die sie fabrizieren, bis sie ihrerseits gegessen werden. Was im Fall des Menschen höchst unwahrscheinlich ist, außer er fällt in der Südsee einem Kannibalenstamm in die Hände. Nein, diese Ruhezellen überdauern alles. Es gibt keine Heilung.«
    Er machte eine Pause, wartete. Wer von ihnen erinnerte sich nicht an eine längst verzehrte Scheibe gebratenen Specks, an ein Kotelett, eine Lende? Ein halbes Dutzend Frauen wanden sich auf ihren Stühlen.
    »Ich kann Ihnen gar nicht sagen«, fuhr er düster fort, »wie viele Qualen ich aufgrund dieser Parasiten mit ansehen mußte, dabei nahezu unfähig zu helfen trotz des physiologischen Handwerkszeugs, das mir der Allmächtige in die Hände gelegt hat. Oh, die knirschenden Schultern und die klappernden Knie, die befallenen Atmungsmuskeln und die durchlöcherten Herzen! Ich hatte einmal einen Patienten, der nach jahrelanger, gedankenloser falscher Ernährung zu mir kam – ein Farmer aus Iowa, der ausnahmslos jeden Herbst ein Schwein schlachtete. Nun, dieses arme, gepeinigte Individuum konnte die Arme nicht bis in Schulterhöhe heben, so zerfressen war er von Trichinenkapseln. Es war herzzerreißend. Wenn er versuchte, die Arme zu heben, zuckte er jedesmal zusammen unter den schrecklichen, schneidenden Schmerzen …« Der Doktor brach überwältigt ab. Seine Augen waren umflort, und er kämpfte mit seiner Stimme. »Und ich muß Ihnen sagen, daß ich das Geräusch der Kapseln, die in Knochen und Sehnen knirschten, nie vergessen werde. Freunde, es hörte sich an, wie wenn Walnüsse geknackt werden. Wenn er nur die Arme hob. Knackende Walnüsse. Können Sie sich für einen Augenblick den Schmerz vorstellen, der seinen gepeinigten Körper folterte?«
    Angemessen entsetztes Schweigen.
    »Gnädigerweise, meine Freunde, mußte er nicht lange leiden – im Alter von vierzig Jahren war er tot, der Herzmuskel zerstört von diesen heimtückischen Parasiten, diesen Würmern, Würmern, meine Damen und Herren.« Er schüttelte betrübt den Kopf. »Und alles nur, weil er gern Schweinefleisch aß.«
    Der Doktor fuhr fort, indem er seine Ansicht mit einem ähnlichen Trick illustrierte, wie er ihn auch für Mrs. Tindermarshs Steak angewandt hatte. Aus einer strategisch hinter ihm auf der Bühne postierten Eisbox holte er eine Schweineschulter aus Tuckermans Fleischmarkt (»Heute garantiert frisch«,

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