Willkommen in Wellville
einzelne Scharmützel, aber John Harvey Kellogg gewann die Kriege. Immer. Aber die Situation war heikel, das war ihm klar, und deswegen unterdrückte er seine Wut. »Geh auf der Stelle diesen Korridor entlang und in mein Büro«, sagte er in strengem Flüsterton, »und du kriegst sie.«
George stand noch einen Augenblick da, die Barthaare gesträubt, ein böses Flackern in den lehmbraunen Augen. Dann ließ er Arme und Schultern sinken. »Abgemacht«, sagte er.
Mit einemmal waren die drei wieder in Bewegung, das Publikum aus dem Großen Empfangssaal strömte jetzt hinter ihnen in die Halle, der Doktor feuerte Blicke nach rechts, links und rückwärts über die Schulter ab, er trippelte praktisch auf seinen zu kurzen Beinen und schob George mit fester und unerschütterlicher Hand vor sich her. Beinahe hatte er es geschafft, beinahe waren sie draußen in Sicherheit, als ihn eine gebieterische weibliche Stimme einfing wie ein Enterhaken. »Dr. Kellogg!« erklang die Stimme, und es war nichts mehr zu machen. Sein Schritt stockte, er verzog die Lippen zu einem müden automatischen Lächeln und wirbelte herum zu einer makellos gekleideten weiblichen Gestalt, die mitten in einem Mahlstrom von Gepäck stand. Zwei Schritte schräg hinter ihr ragte die spindeldürre Geistererscheinung eines langnasigen jungen Mannes mit Plattfüßen auf, dessen Haltung wahrhaft ungeheuerlich war – er mußte unter Rückgratverkrümmung leiden. »Doktor«, zwitscherte sie, »Dr. Kellogg, was für eine Freude, Sie wiederzusehen.« Und seine Hand verschwand im Griff ihres schwarzen Glacéhandschuhs.
Die Gesellschaft war mitten in der Halle stehengeblieben, Dab mitten in einem watschelnden Schritt angehalten worden, George wie eine erfrorene Pflanze zusammengesackt, der Doktor zu einer jähen Bremsung gezwungen. »Aber«, er schnappte nach Luft, strahlte, strahlte, ganz der freundliche Gastgeber und höfliche Arzt, »wenn das nicht Mrs …. Mrs. –?«
»Lightbody«, erwiderte sie, »Eleanor. Und das«, sie zeigte auf die hagere Elendsgestalt neben sich, »das ist mein Mann, Will.«
Verlegenes Schweigen. Obwohl George einen Schritt zurückgewichen war, brachte der Doktor seinen Geruch nicht aus der Nase, ein kranker, saurer Gestank nach Fäulnis und Gärung, nach Fett, Körperfunktionen und Dreck. Er roch wie eine Mülltonne. Schlimmer noch: wie ein Waggon voller Fleisch. »Lightbody, natürlich«, rief der Doktor aus. »Und wie ist das, äh, werte Befinden? Neurasthenie, nicht wahr? Und Autointoxikation? Ja? Ich vertraue darauf, daß Sie gegen beides ankämpfen. Eine Schlacht für die biologische Lebensweise gewinnen, ja?«
Er wollte ihr die Hand entziehen, aber Eleanor hielt sie fest. »Ich weiß, wir sollen positiv denken, Doktor, und ich weiß, daß Sie Wunder für ihn, für uns beide tun werden, aber ich sage Ihnen – ich muß Ihnen sagen«, Eleanor senkte die Stimme, als sie sich vertraulich zum Doktor vorneigte, »mein Mann ist sehr krank.«
»Nun, ja«, sagte der Doktor, »selbstverständlich, selbstverständlich ist er das.« Und plötzlich war er wieder der alte, ein Energiebündel, seine Fingerspitzen sprühten Funken, das große Löwenhaupt wackelte majestätisch auf den Schultern. »Sie sind an den richtigen Ort gekommen, junger Mann«, sagte er, befreite sich von der Frau, um Will Lightbodys schlaffe, bis auf die Knochen abgemagerte Hand zu schütteln.
Um sie herum erstrahlte die Halle in stiller, verdauungsfördernder Gesundheit. In jeder Ecke sprossen Leben, Versprechungen und Fortschritt; es schnatterten Millionäre, die an den korinthischen Säulen lehnten und an ihrer Milch nippten, die gelassenen, korsettlosen Damen der Gesellschaft, die Gräfinnen und Hausfrauen, die im Palmengarten ein und aus gingen. Die Bananenstaude war in ihrer ganzen exotischen Pracht durch den hohen Rundbogen des Portals erkennbar, sie wuchs zwischen Palmen, Sukkulenten und Orchideen in die Höhe, dem Breitengrad und der Jahreszeit zum Trotz, Kernstück von des Doktors privatem Urwald.
Ohne George zu beachten – er sollte sich erst mal eine Weile beruhigen –, wandte sich der Doktor an seinen Sekretär. »Mr. Dab, bitte holen Sie für diesen Herrn einen Rollstuhl und veranlassen Sie, daß Dr. Linniman ihn heute abend noch aufsucht. Und unsere besten Mitarbeiter – Murphy, suchen Sie Murphy. Und Graves. Ich will, daß Mr. Lightbody allen nur möglichen Komfort bekommt«, fuhr er fort, leutselig, weise, der unerschrockene Heiler, für
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