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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Vergnügungen inkorporierte-, oder vielleicht weil die Stadt ihm wenig Interessantes zu bieten hatte, wenn er nicht essen gehen oder in eine Kneipe schlendern, einen Fuß auf die Messingstange stellen und an der Bar einen Drink nehmen konnte. Wie auch immer, er langweilte sich, und es war ein schöner Tag, und ganz Battle Creek lag vor ihm wie die Blütenblätter einer Blüte, die sich in der Sonne öffnet.
    Er stöberte in einer Buchhandlung herum, kaufte in einem Lebensmittelladen eine Handvoll Sodacracker, sah zwei hemdsärmeligen Männern zu, die vor dem Rathaus ein Loch gruben und einen Schößling pflanzten. Später, es mußte so gegen fünf Uhr sein, setzte er sich auf eine Bank und las im Morning Enquirer den Leitartikel von C.W. Post. Während er so dasaß und darüber nachdachte, ob Eleanor ihre Behandlung für heute beendet hätte und ob es an der Zeit wäre, zum San zurückzugehen und festzustellen, was für einen Essensersatz sie zum Abendessen servierten – nicht, daß er Hunger hatte, aber die Gewohnheit hatte etwas Tröstliches –, sah er von der Zeitung auf und blickte in die Augen eines auf dem Gehsteig vorübergehenden Mannes.
    Der Mann sah weg und schien den Schritt zu beschleunigen, aber irgend etwas unter dem spärlichen Backenbart, den getönten Brillengläsern und dem überflüssigen Wintermantel kam ihm bekannt vor. Das war kein Fremder, das war – »Charlie!« rief Will plötzlich, als ob der Name auf seiner Zunge zum Leben erwacht wäre, »Charlie Ossining!«
    Wie ertappt blieb Charlie stehen. Er hatte den Kopf wie eine Schildkröte eingezogen, als versuchte er, ihn zwischen den hängenden Schultern zu verstecken, und sah aus wie ein Streikbrecher, der von Streikposten erwischt worden war. Er wirkte unsicher, nervös, heruntergekommen, die Schuhe abgestoßen, der Körper unterwürfig geduckt. Er schob die Brille mit den getönten Gläsern nach vorn und spähte über die Schulter mit Augen, die kein Vergnügen – nicht einmal Nachsicht – erwarteten.
    »Charlie!« wiederholte Will. Er war von der Bank aufgestanden und schüttelte jetzt die schlaffe Hand, die aus dem Mantel herausragte wie bei einer Schaufensterpuppe. »Wie geht es dir? Was macht Per-Fo? Erobert die Welt im Sturm, was? Ja?«
    Charlie lächelte schwach. War das ein Schnurrbart? Er war so dünn, daß man die einzelnen Barthaare zählen konnte.
    »Übrigens«, fuhr Will fort, der erleichtert war, mit jemandem, irgend jemandem sprechen zu können, »deine Mrs. Hookstratten sitzt an unserem Tisch im San, sie redet die ganze Zeit von dir – aber das weißt du wahrscheinlich schon.« Eine Pause. Keine Ermunterung von selten Charlies. Nichts. »Also. Tja. Freut mich, dich zu sehen.«
    »Ebenfalls«, brummelte Charlie. Sein Blick suchte die Straße in beiden Richtungen ab, huschte von der Bank zu den Bäumen dahinter und dann zu dem Gebäude an der Ecke.
    »Eleanor geht’s gut«, sagte Will, klemmte die Zeitung unter einen Arm und stieß einen lauten Seufzer aus, »und mir geht’s unverändert, nicht besser, nicht schlechter – du weißt, wie es ist. Du siehst« – Will wollte sagen »gut aus«, aber er berichtigte sich im letzten Moment – »anders aus. Läßt dir einen Backenbart stehen, was? Und einen Schnurrbart? Sehr distinguiert. Ich hatte auch einen – einen Schnurrbart –, als ich jünger war, hab’ ich dir das erzählt?«
    »Nein, ich glaube nicht«, sagte Charlie, setzte die Brille ab, klappte sie zusammen und steckte sie in die Tasche. Er sah jetzt weniger heimlichtuerisch aus, mehr wie der alte Charlie, der Zechbruder und messerscharf kalkulierende Unternehmer, dem Will einen Scheck über tausend Dollar anvertraut hatte. »Mrs. Hookstratten«, sagte er, als käme er jetzt erst mit der Unterhaltung mit, aber der Name schien von seinen Lippen abzubröckeln, und er sprach nicht weiter.
    Irgend etwas stimmte hier nicht, aber Will wußte nicht, was es war. Er grinste Charlie aufmunternd an. Die Sonne sank ein paar Zentimeter tiefer, und die Schatten wurden länger. Vögel flatterten in den Bäumen. Sie wandten sich beide einem Mann zu, der die Straße entlangradelte.
    »Ich meine, ich freue mich wirklich, daß sie hier ist«, sagte Charlie, aber sein Gesicht drückte keinerlei Freude aus, »das heißt Mrs. Hookstratten. Es ist wie zu Hause. Ich organisiere eine Besichtigung der Per-Fo-Fabrik für sie.«
    »Ja? Das klingt ungeheuer interessant. Ich bin sicher, das wird ihr gefallen. Und wo, sagtest du noch mal,

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