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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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zum Opfer gefallen, der sie zum Krüppel machte. Hart-Jones hatte jegliches Interesse am Thema verloren – er konnte sich nicht besser konzentrieren als eine Mücke – und widmete sich wieder seinem Essen. Mrs. Hookstratten lehnte sich zurück, blickte von einem zum anderen und legte nachdenklich einen Daumen ans Kinn. Will dagegen fühlte sich persönlich angegriffen, wollte sich über dieses Thema bis aufs Blut streiten, wollte sich das Jackett vom Leib reißen und auf Badger einschlagen, bis seine kleinen, selbstgefälligen, schmutzfarbenen Augen so kalt wie zwei Murmeln geworden wären, aber er kam nicht dazu. Denn in diesem Augenblick stieß Eleanor einen leisen Schrei aus und legte eine Hand vor den Mund. »O mein Gott, Lionel – ich komme zu spät zu meinem Termin«, rief sie und stand hastig auf. »Bitte, entschuldigen Sie mich«, murmelte sie, wobei sie sich an den ganzen Tisch wandte und sich hinter einem Lächeln versteckte, als die Männer sich erhoben und die Frauen sie etwas erstaunt ansahen.
    Eleanor zog sich bereits vom Tisch zurück, und das Lächeln lag auf ihrem Gesicht, als wäre es mit Nadeln festgesteckt. »Therapie, wissen Sie«, sagte sie und versuchte, wie eine Art Zirkusartist gleichzeitig die Achseln zu zucken und einen Knicks zu machen. »Deswegen sind wir ja hier.«
     
    Und welche Wirkung hatte das auf Will? Seine Frau war in Badgers Bann geraten und unterzog sich außerhalb des Sanatoriums einer geheimen Behandlung – soviel hatte er mitgekriegt, wiewohl er sie deswegen noch nicht zur Rede gestellt hatte –, und sie übte eine strenge Kontrolle über ihren Appetit aus. Will war nie für strenge Kontrolle gewesen – er war eher geneigt, ein Steak zu gril len und eine Flasche Sears’-White-Star-Kur gegen irgendwas zu schlürfen –, aber er übte strenge Kontrolle über sich selbst aus, nur um sich davon abzuhalten, das San in Brand zu stecken und mit dem nächsten Zug nach New York zurückzukehren. Und warum tat er das? Um Eleanors willen, darum. Weil er sie liebte.
    Aber als er ihr an einem sonnigen Nachmittag eine Woche später heimlich folgte und in die Droschke hinter der ihren schlüpfte, konnte er nicht umhin, sich zu fragen, ob diese Liebe nicht allmählich an ihre Grenzen gelangte. Er spionierte ihr nach. Beschattete seine eigene Frau, als ob sie eine Verbrecherin wäre. Er nahm sich nicht die Zeit, sich zu überlegen, was er da eigentlich tat, aber es war etwas Schreckliches, und er wußte es, und als die Droschke schwankend losfuhr und er verblüfft und verschwommen die Bäume am Straßenrand vorbeiziehen sah, drehte sich ihm der Magen um. »Wohin?« fragte der Kutscher und beugte sich zum Fenster herein. Er war verhutzelt, weißhaarig, klein wie ein Mann, der in der Mitte entzweigesägt worden ist, mit einer Knollennase und zwei harten, zynischen Augen, die glänzten wie billige Bonbons. Will, dessen Gedärme bis auf die letzte Schlinge verkrampft waren, sagte ihm, er solle der Droschke vor ihnen folgen, woraufhin der Kutscher ihm einen wissenden Blick zuwarf, den Kopf abwandte, auf die Straße spuckte und die Peitsche leicht über das auf- und abstampfende Hinterteil des Pferdes sausen ließ.
    Sie bogen nach rechts auf die Washington und dann nach links auf die Manchester. Je weiter sie die Straße entlangfuhren, um so größer und vornehmer wurden die Häuser, vor ihnen galoppierten die Schatten, hie und da stand ein Automobil neben dem Gehweg oder auf einer schattigen Einfahrt, als wäre es ein Ausstellungsstück. Es ging noch einmal nach links auf die Jordan, bis sie in Sichtweite des aufgewühlten Kalamazoo River gelangten, und dann verlangsamte Eleanors Droschke vor einem senffarbenen Haus im Tudor-Stil mit blanken braunen Balken und dazu passenden Fensterläden. »Fahren Sie weiter«, sagte Will zum Kutscher, und er drückte sich in den Sitz, damit Eleanor ihn nicht sehen konnte, »aber langsam, ganz langsam.«
    Der Kutscher kam seiner Aufforderung nach, und Wills Droschke kroch an der von Eleanor vorbei, die vor dem Haus neben dem Gehweg angehalten hatte. Als sie vorbeifuhren, sah Will die Silhouette seiner Frau, wie sie ihren Kutscher zahlte, und dann sprang der Kutscher vom Bock und hielt ihr die Tür auf. Sie waren vorbei, und Will mußte sich im Sitz umwenden, um vom rückwärtigen Fenster aus zu beobachten, wie sie die Einfahrt entlangging. »Langsamer«, zischte er dem Kutscher zu, und er sah, wie die Haustür geöffnet wurde, wie ein Mann mit Monokel und

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