Willkommen in Wellville
Anwesen in Englewood gekauft, ein ehemaliges Schulgebäude, und eine Kolonie, basierend auf sozialistischen Prinzipien, gegründet, wobei die vierzig Mitglieder – Philosophen, Vegetarier, Steuerreformer, Suffragetten, ausgewählte Collegeprofessoren, Skandaljournalisten und Sozialisten – ihre Mittel in eine gemeinsame Kasse einbrachten. Die Presse machte einen Riesenwirbel um das Thema freie Liebe, der sich Sinclair offensichtlich verschrieben hatte, und kitzelte die Phantasie von Lesern im Hudson-Tal und darüber hinaus mit Visionen von mitternächtlichen Rendezvous und jederzeit verfügbaren Ehefrauen. Auf eine voyeuristische Art war das alles sehr aufregend, aber dann brannte das Anwesen auf mysteriöse Weise bis auf die Grundmauern ab, und das war das Ende des Ganzen. Das heißt, bis Will und Eleanor im San eintrafen und beobachteten, wie Meta wie Ophelia umherstreifte, mit einer natürlichen und ihr nicht bewußten Grazie durch die Korridore schwebte, während ihr das Bouquet ihres ungebändigten Haars auf die Schulter fiel und die Katzenaugen auf etwas in der Ferne Glitzerndes gerichtet waren. Will versuchte, sie sich vorzustellen – Mrs. Sinclair, Meta – in den Armen eines anderen Mannes und der fließenden Gewänder und Tücher, die sie am liebsten trug, entledigt, und ihm wurde ganz anders bei dem Gedanken.
»Unsinn«, knarzte Badger. »Upton ist ein großer, vorausdenkender Mann – ein vegetarischer Champion – und so ehrenwert wie wir alle hier an diesem Tisch. Ja, er ist heliophil – oder vielmehr Meta ist es, und er machte um ihretwillen mit –, aber wer ist es nicht? Ich bin es sicherlich, und keine geringere Autorität als unser Dr. Kellogg tritt vehement für das Sonnenbaden ein – und das heißt per definitionem mit möglichst wenig hinderlicher Kleidung – und nicht nur für das Sonnenbaden, sondern auch für jede andere Form der Lichttherapie. Und haftet Dr. Kellogg etwas auch nur entfernt Skandalöses an?«
Mrs. Tindermarsh war blaß geworden. Sie war so aufgeregt, daß sie Badger nicht ansehen konnte und statt zu ihm zu ihrem Teller sprach. »Aber Mr. Badger«, sagte sie mit einer Stimme, die nur widerwillig die Kehle zu verlassen schien, »was ist mit diesen Vorwürfen wegen … wegen freier Liebe? In einer zivilisierten Gesellschaft ist es doch gewiß –« Sie konnte nicht weitersprechen.
Badger war nicht aus der Ruhe zu bringen. »Freie Liebe sollte in keinem schlechten Licht gesehen werden, auf keinen Fall, Mrs. Tindermarsh. Sie hat rein feministische Wurzeln. Haben Sie jemals darüber nachgedacht, daß die herkömmliche Ehe« – an dieser Stelle fixierten seine sumpfigen Augen kurz Will, bevor sie wieder woandershin schossen – »eine Art Gefängnis ist – das heißt, für die Frau? Der Mann hat die Freiheit, seinen Gelüsten zu frönen, aber wenn es einer Frau einfallen sollte, sich einen Liebhaber zuzulegen, nun, dann könnte der Präsident nachts nicht mehr schlafen.«
Eleanor zollte dieser grandiosen Rede mit einem kurzen, hellen Lachen Beifall, und Hart-Jones stimmte etwas verspätet mit dem ihm eigenen bukolischen Gelächter mit ein. »Frauen in Ketten!« rief er und erstickte fast an seinem eigenen Witz. »Mädchenhandel!«
Ohne auf ihn einzugehen, fuhr Badger fort: »Beide Sinclairs, die ich, wie bereits gesagt, kenne und bewundere als enge Freunde und Weggefährten, sind zufällig der Meinung, daß man gehen sollte, wohin einen die Liebe führt, und daß nicht die Liebe, sondern die Eifersucht eine Obszönität darstellt. Liebe gibt einem alle Rechte, und eine ehrliche Ehe, eine vorausdenkende Ehe, nimmt keines.«
Badger schien, während er sprach, Will eingehend zu mustern, und auf einmal war Will gereizt. Was wollte er damit andeuten? Daß er Eleanor zurückhielt? Daß er sie mit anderen teilen sollte wie eine Zuchtstute? »Hier möchte ich doch widersprechen«, krächzte Will, und der Tenor seiner Stimme schien die Runde zu verwundern. Bevor er wußte, was er sagte, ließ er ein leidenschaftliches Plädoyer für eheliche Treue vom Stapel, für Liebe, die wie ein Geschenk dargebracht wird, unversehrt und umfassend beim Gebenden wie beim Nehmenden, aber die ganze Zeit über dachte er in leichter Panik an Irene.
»Scheinheiliges Gerede«, verkündete Badger und tat Wills Ansprache mit einer Handbewegung ab. »Nichts als scheinheiliges Gerede und Platitüden.«
Mrs. Tindermarsh saß stocksteif und mit gesenktem Kopf da, als sei sie eben einem Angriff
Weitere Kostenlose Bücher