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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Kreislauf anzuregen, die Beine zu bewegen.« Und dann waren sie unterwegs, schlugen ein ungemütliches Tempo ein, wobei die Hand des Doktors Wills Ellbogen umklammert hielt, als führe er mit ihm einen rituellen Tanz auf. Sie gingen um Blumenbeete herum, an Patienten auf Krücken und in Rollstühlen vorbei, sahen einer hübschen jungen Krankenschwester mit hochgestecktem Rock nach, die auf einem Fahrrad vorbeisegelte. »Ich fürchte, ihr Zustand ist ernst«, sagte der Doktor schließlich und sah Will ins Gesicht.
    Will konnte nicht anders. Er bremste, rammte die Fersen ins Gras. »Was wollen Sie damit sagen?« krächzte er. »Wollen Sie damit sagen, daß … daß es ihr schlechter geht?«
    Auch der Doktor war stehengeblieben, wiewohl er mit den Füßen weiterhin auf der Stelle trat und die Schultern kreisen ließ. Bloese, mit Nickelbrille und stumm, stand hinter ihnen. »Himmel, Mann«, rief der Doktor plötzlich, »sind Sie blind? Es ist Ihre Frau, über die wir reden, Sir- Sie wollen doch nicht behaupten, Sie hätten nichts bemerkt?«
    »Sie – nun, sie hat abgenommen, das sehe ich, aber ich dachte, das wäre Teil der Kur, der Behandlung –«
    »Pah!« machte der Doktor, der noch immer auf der Stelle trat und sein Zwerchfell mit tiefen Atemzügen frischer, reiner, gesunder Luft aufblähte. »Nicht meiner Behandlung. Glauben Sie etwa, daß ich meine Patienten willentlich verhungern lasse, Sir?« Er wartete keine Antwort ab. »Sie macht eine Fastenkur. Aus eigenem Antrieb. Als wäre sie mit einemmal ihr eigener Arzt, als wäre sie diejenige, die im Bellevue als Medizinalassistent gearbeitet und Tausende auf den Pfad der Gesundheit und des Wohlbefindens geführt hat, als wäre all das« – er machte eine Handbewegung, die die Gebäude und das Gelände umfaßte, diese riesige Gesundheitsfabrik, die sich in alle Richtungen erstreckte, so weit das Auge reichte –, »als wäre all das hier ein Spiel, eine Illusion. Und was sagen Sie dazu, Sir – es handelt sich um Ihre eigene Frau?«
    Will wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Gewiß, Eleanor war nach Battle Creek gekommen, um zuzunehmen, nicht um abzunehmen, aber wer konnte ihr andererseits schon einen Vorwurf daraus machen, wenn sie in den Hungerstreik trat angesichts des Essens, das der Doktor offerierte? »Ist – ist es ernst?«
    »Ernst!« Der kleine Mann schien zu implodieren. Er schnappte schockiert nach Luft, als wäre es ihm irgendwie gelungen, den eigenen Bart zu verschlucken, und wirbelte zweimal auf den Fußballen herum wie ein Boxer der Bantamklasse, der seinem Gegner ausweicht. »Und das ist noch nicht alles. Es ist viel schlimmer, als Sie sich vorstellen können – zumindest die Fastenkur hat ihre Vorteile, das heißt, wenn sie von einem kompetenten Arzt angeordnet und überwacht wird … nein, Ihre Frau scheint von allen guten Geistern verlassen zu sein.« Er hielt inne, blinzelte, zog die Mundwinkel hoch. »Sie konsultiert jemanden außerhalb dieser Institution.«
    Sofort sah Will das herrschaftliche Tudor-Haus vor sich, den Mann in der Tür, den Schnurrbart, das Monokel. »Ja, ich weiß«, murmelte er.
    Auf dieses Eingeständnis hin erstarrte der Doktor. Sein Mund begann zu arbeiten, aber es kam nichts heraus. Will sah zu, wie glänzende Schweißperlen von der physiologischen Stirn Besitz ergriffen. » Sie wissen es?« wiederholte der Doktor.
    Hoch oben verschmolz eine Wolke mit der Sonne. Will nickte.
    »Der Mann ist ein Scharlatan«, rief Dr. Kellogg. »Ein Betrüger. Eine Gefahr. Nennt sich Doktor – wie heißt der Mann noch mal, Bloese?«
    »Spitzvogel, Boss.«
    »Spitzvogel.« Der Doktor kaute auf dem Namen herum, als wäre er in seinem Mund verfault. An den eudämonistischen Schläfen traten Adern hervor, die alles sehenden Augen sprühten Funken. »Wissen Sie, was er mit ihr anstellt, haben Sie irgendeine Vorstellung davon? Ist Ihnen denn völlig gleichgültig, was mit Ihrer Frau vor sich geht?«
    Will war beunruhigt. Es mußte etwas Unhygienisches, etwas Sinnliches sein, eine Entfesselung primitiver Begierden – nur so etwas konnte den großen Heiler so auf die Palme bringen. »Nein, es ist mir überhaupt nicht gleichgültig«, sagte er kleinlaut. Und dann: »Was ist es? Was macht dieser Mann« – er brachte es kaum heraus, schluckte den Rest der Worte hinunter wie ein Glas Wasser an einem sengendheißen Tag –, »was macht er mit ihr?«
    »Bewegungstherapie«, erklärte der Doktor verächtlich, »Handhabungstherapeutik«, und aus

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