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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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sein Haus gesehen.« Mehr fiel ihm nicht ein.
    »Will«, gurrte sie, und ihre Augen glänzten feucht und vielversprechend – seine eigene Frau! »Was soll das? Hast du etwas auf dem Herzen? Du bist doch nicht auf meinen Arzt eifersüchtig, oder?« Wieder lachte sie, ein kurzes Trillern, das ein ganz privates Amüsement kundtat. »Sieh dich nur mal an – du bist ein Battle-Freak geworden. Ich konsultiere einen Arzt außerhalb des San, und du tust, als wäre das das Ende der Welt. Also wirklich, Will.« Und wieder lachte sie.
    »Einen Arzt außerhalb des San!« wiederholte er anklagend. »Wenn der ein Arzt ist, bin ich auch einer.«
    Ihr Blick wurde plötzlich schärfer, und die altvertraute Furche zwischen ihren Brauen tauchte auf. »Woher weißt du das?«
    »Dr. Kellogg hat es mir gesagt. Dein Dr. Kellogg. Der Größte und einzige. Und er hat mir auch gesagt, was dieser Dr. Spitzvogel mit dir macht, wie diese sogenannte Behandlung aussieht, und es ist schockierend, Eleanor, und ich … ich glaube, daß du mir eine Erklärung schuldig bist – nein, ich verlange eine Erklärung, und zwar jetzt, auf der Stelle. Keine Ausreden mehr, kein Herumgeschwafel von wegen ›biologischer Lebensweise‹ – der Mann manipuliert deinen Unterleib, nicht wahr? Nun, stimmt das?«
    Unter ihrer gesunden Gesichtsfarbe war sie blaß geworden. Sie war schuldig, man war ihr auf die Schliche gekommen, aber sie wich nicht zurück und hielt seinem Blick stand. »Ja, das tut er. Und was ist daran so empörend? Es ist eine absolut ehrenwerte und wirksame Behandlungsmethode bei einem Zustand wie meinem, und das ist nicht alles, was er für mich tut, bei weitem nicht –«
    »Nein? Und was manipuliert er sonst noch? Deine Titten? Deinen Hintern?«
    Die Plötzlichkeit, mit der sie aus dem Bett sprang, überraschte ihn und er taumelte erschrocken zurück, um ihr auszuweichen. Sie trug ein neues Nachthemd, das er nie zuvor gesehen hatte, mit einem großen, aufreizenden Ausschnitt, aber er kam nicht dazu, es zu bewundern – sie schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, zweimal, dreimal, bis er sie an den Handgelenken zu fassen bekam und festhielt. »Laß mich los, du Mistkerl, laß mich los!« kreischte sie und kämpfte in seinen Armen gegen ihn an, und er spürte ihren Ellbogen wie ein Messer in seiner Seite, und dann hatte sie sich befreit. »Raus hier!« schrie sie, und er hörte Geräusche im Flur.
    »Nein«, keuchte er, und Wut brandete in ihm hoch, trieb ihn über die Grenzen von Vernunft und Selbstbeherrschung hinaus. Er wollte zurückschlagen, sie festhalten und ihr weh tun. »Und ich werde nicht dulden, daß du so weitermachst. Keine Quacksalber mehr, keine Kelloggs und Spitzvogels und Badgers mehr – du kommst mit mir nach Hause.«
    Ihr Gesicht war verzerrt, ihre Augen blitzten, und sie fletschte die Zähne. »Ha!« schrie sie, und in ihrer Stimme schwang Hysterie. »Du glaubst wohl, ich bin dein Eigentum? Du hältst dich wohl für meinen Herrn und Meister? Du meinst wohl, wir leben noch in feudalen Zeiten?«
    In diesem Augenblick war sie nicht schön, war nicht zärtlich, war nicht seine Frau. Ihre Augen traten aus den Höhlen, sie duckte sich wie ein Ringer, umkreiste ihn wütend, sie war zum Mord bereit und hassenswert. Er spürte, wie die Liebe in ihm erstarb. »Darüber soll das Gesetz entscheiden«, sagte er.
    – »Das Gesetz?« kreischte sie, und jemand klopfte an die Tür, eine Stimme ertönte im Gang – Mrs. Lightbody, sind Sie da drin? Ist alles in Ordnung? »Droh mir nur mit dem Gesetz, nur los, du Schwächling … Raus hier!« kreischte sie. »Raus hier, oder ich rufe die Pfleger–«
    »Nein, ich bleibe. Bis du mitkommst. Jetzt. Heute abend.«
    Jemand hämmerte gegen die Tür. »Mrs. Lightbody?«
    Sie sah ihn einen Augenblick lang ruhig an, und dann ließ sie sich gehen, ihre Stimme zog ein neues Register, zerplatzte in ihrem schreienden Gesicht. »Hilfe!« schrie sie. »Hilfe, Hilfe, Hilfe!«
     
    Wer konnte es einem Mann unter diesen Umständen schon verübeln, wenn er andernorts Trost suchte?
    Will nahm Schwester Graves’ Einladung zu einer Bootspartie für den Nachmittag des dreißigsten Mai an, dem Vortag des Heldengedenktages, ohne einen Augenblick zu zögern. Es war Schluß mit den Klistieren und der Erdnußbutter, Schluß mit den Spinnern und Quacksalbern und der Tyrannei von Messer, Gabel, Löffel, Schluß mit Eleanor. Was ihn anbelangte, konnte sie sich jede intime Falte und Furche ihrer Anatomie von

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