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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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dessen bei einer Probe für Das verhängnisvolle Mittagessen vorbei, das Drama, das der Tief-Atem-Club am Heldengedenktag zur Uraufführung bringen wollte. Er setzte sich in den kühlen, nachmittäglichen Schatten des Salons im Erdgeschoß, und das Blut rauschte ihm in den Ohren, während er auf Eleanors Auftritt wartete. Das Stück, verfaßt von Eleanor und Mrs. Tindermarsh, schien von einem Mann mit ruiniertem Magen zu handeln, der gegen die beiden Teufel Alkohol und Fleischeslust ankämpfte. Mrs. Tindermarsh im Overall und mit aufgemaltem Schnurrbart verkörperte den Protagonisten. Sie stolzierte über die Bühne und deklamierte Sätze wie den folgenden: »O wehe diesem Verdauungstrakt und dem unruhigen Magen, daß ich je Kotelett und Steaks gegessen!« Eleanor war für die weibliche Hauptrolle vorgesehen, die der schwergeprüften Ehefrau, die wider alle Hoffnung versucht, ihrem verblendeten Mann das erlösende Licht der physiologischen Lebensweise nahezubringen. Bei diesem Gedanken verkrampfte sich Wills Magen – das Stück war ein weiteres Glied in der Kette der Demütigungen, die zurückreichte bis zu dem Abend, als er hier angekommen war und Dr. Kellogg seine Zunge inspiziert hatte, als wäre er ein Zuchthengst. Er kauerte sich in den Schatten.
    Es fiel ihm schwer, dem Handlungsverlauf zu folgen, und zudem war er so aufgebracht, daß er auch Wilde oder Ibsen nicht ertragen hätte, aber nach ungefähr einer halben Stunde dämmerte ihm, daß eine andere Frau Eleanors Rolle spielte. Die Frau war von Anfang an auf der Bühne gewesen, hatte mit Mrs. Tindermarsh agiert, aber Will hatte angenommen, daß sie eine Bedienstete oder entfernte Verwandte sei, und erst jetzt begriff er, daß er einem Irrtum unterlegen war. Eleanor tauchte auch hier nicht auf.
    Im Dunkeln stand er abrupt auf und bahnte sich einen Weg zur Bühne, wo er versuchte, sich nach ihr zu erkundigen, aber er wurde von allen Seiten zur Ruhe ermahnt. Er ließ sich nervös auf einen Stuhl vor der Bühne sinken, wartete, bis die Probe vorbei war, und näherte sich dann Mrs. Tindermarsh.
    »Oh, Mr. Lightbody«, krähte sie »wie finden Sie uns? Wird es ein Erfolg werden?«
    Grell geschminkte Gesichter drängten sich um ihn. Will blickte sich unbehaglich um. »O ja, natürlich«, dröhnte er, und seine Stimme brachte die Glaskaraffe, die neben dem Sessel des fiktiven Ehemanns stand, zum Zittern. »Großartig, sehr bewegend – und so lebensnah.«
    Augen blinzelten, Münder wurden gespitzt. Hinter dem Vorhang wurden Stimmen laut, am anderen Ende der Bühne lachte jemand. Will verdrehte den Hals und beschattete die Augen mit der Hand. »Aber wo ist Eleanor? Ich dachte, sie spielt die Ehefrau?«
    Mrs. Tindermarshs Blick floh in den hintersten Winkel des Raums. Sie strich sich über den Schnurrbart und hatte anschließend schwarze Fingerspitzen. »Hat sie es Ihnen nicht gesagt?« murmelte sie und sah sich nach einem Handtuch um. »Vor zwei Wochen hat sie aufgehört – ihre Behandlungen nehmen ihre ganze Zeit in Anspruch. Gloria Gephardt hat ihre Rolle übernommen, und das ist wirklich jammerschade – Ihre Frau ist eine geborene Schauspielerin.«
    Schließlich stellte er sie spätabends in ihrem Zimmer – sie hatte sich auch beim Abendessen nicht blicken lassen, wiewohl Badger, der Idiot, da war und über Viktualien, Knollengewächse und all die berühmten Leute quatschte, die er kannte. Sie lag lesend im Bett, und als er sie überraschte – er hielt es nicht für nötig, zu klopfen –, blickte sie schuldbewußt auf und schob das Buch unter das Kopfkissen. »Oh, Will«, murmelte sie, und ihre Stimme klang schmachtend, künstlich, triefend vor Verderbtheit und Verrat, »wie geht es dir?« Sie stieß ein kurzes Lachen aus. »Wir sehen uns kaum mehr, nicht wahr?«
    Will ließ sich nicht von seichtem Geplauder ablenken. »Ich habe mit Dr. Kellogg gesprochen«, sagte er. Er ragte drohend und leicht schwankend vor ihrem Bett auf, die Arme krampfhaft an die Seiten gepreßt.
    »Ach ja? Und was hat er gesagt?« Ihre Nonchalance war zum Aus-der-Haut-Fahren. Sie hielt ihn zum Narren, heuchelte, spielte Theater. »Komm, gib mir einen Kuß.«
    Will stand stocksteif da. »Ich will keinen Kuß. Ich will über Dr. Spitzvogel reden.«
    Der Name zuckte über ihr Gesicht wie ein Peitschenschlag, aber sie verriet sich nicht. »Ja? Was ist mit ihm?«
    Wie konnte sie nur so unverfroren sein? Der Mann manipulierte ihren Unterleib, und alle Welt wußte es. »Ich habe

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