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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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ungewöhnlich, höchst ungewöhnlich. Ihre Beziehung lief mittlerweile nach einem festen Schema ab: Der Große Heiler ermahnte streng, und Will zeigte sich reumütig. Will hatte auf dem Sanatoriumsgelände Schnaps getrunken, er hatte nach seiner eigenen Frau gelüstet, er hatte Diätvorschriften mißachtet, sich dem Sinusbad verweigert, die Gymnastik war ihm gleichgültig, und die Lachübungen begeisterten ihn auch nicht. Er kaute sein Essen nicht richtig, und er hatte eine schlechte Haltung. Und was sollte die unsinnige, alberne Weigerung, sich für das Schwimmbad auszuziehen? Der Doktor war von Will enttäuscht und machte daraus kein Hehl – Will war ein Rückfälliger, ein negativer Denker, ein schlechtes Beispiel für die anderen Patienten. Und deswegen war es durchaus bemerkenswert, als Bloese ihn in das Büro bat und Dr. Kellogg aufstand, um ihn mit einem gütigen Lächeln und einem festen Händedruck zu begrüßen. »Mr. Lightbody, Will – wie geht es Ihnen?«
    Will zuckte die Achseln. Ließ ein Lächeln aufblitzen. »Immer besser«, sagte er.
    »Ja, hm.« Des Doktors antiseptische Augen musterten ihn von oben bis unten, als fahndete er nach der Lüge. »Nun, freut mich zu hören«, sagte er schließlich, »und Sie können nicht leugnen, daß eine saubere wissenschaftliche Lebensweise ihre Wirkung hat, oder?«
    Will leugnete es nicht.
    »Sind Sie zufrieden mit der neuen Diät?«
    Seitdem er keine Trauben mehr essen mußte, durfte Will von der gewöhnlichen Speisekarte bestellen, obwohl sein Verzehr auch nur entfernt genießbarer Dinge – Blaubeerküchlein, Maisbrot, Pfannkuchen – von den Diätassistentinnen streng kontrolliert wurde. Er konnte soviel falschen Fisch, Fleischersatz und Maisbrei haben, wie er wollte – nur wollte er nichts davon. »Ja«, sagte er. Er spürte bereits, wie seine Sousa-Stimmung verflog.
    Der kleine Doktor war jetzt äußerst rührig, sammelte Papiere vom Schreibtisch auf, nahm den Augenschirm ab und legte ihn bedächtig in die dafür reservierte hölzerne Schale, und seine kahle Stelle schimmerte im Licht der Maisonne, das das Büro überflutete, bis es funkelte wie ein Kirchenschiff. »Aber ich wollte eigentlich gar nicht über Sie sprechen«, sagte er und warf Will einen vorsichtigen Blick zu.
    Verwirrt und linkisch scharrte Will mit den Füßen auf dem kalten Kachelboden. »Nein?«
    »Aber lassen Sie uns einen Spaziergang machen, ja?« rief der Doktor, und er flitzte um den Schreibtisch, ohne eine Antwort abzuwarten, und gleichzeitig trieb Bloese Will übertrieben gestikulierend in Richtung Tür. »An so einem herrlichen Tag halte ich es einfach nicht hinter dem Schreibtisch aus, Sie etwa?«
    Bevor er wußte, wie ihm geschah, befand sich Will wieder im Korridor und versuchte, mit dem forschen kleinen Heiler mitzuhalten, während Bloese, immer im Einklang mit seinem Boss, mühelos Schritt hielt. Sie marschierten den vertrauten Flur entlang, der Doktor nickte ab und zu einem Patienten zu, rief einen Gruß oder brachte Interesse zum Ausdruck. Er steuerte mit fliegenden weißen Rockschößen auf den nördlichen Ausgang zu, und ausnahmsweise schien er einmal nichts zu sagen zu haben – als sie an der Tür waren, fragte sich Will, ob der Doktor ihn vielleicht vergessen hätte. Er war verwirrt – Aber ich wollte eigentlich gar nicht über Sie sprechen – und nicht wenig irritiert, aber der Doktor ging voran, und er folgte.
    Bloese hielt die Tür auf, und im nächsten Augenblick hüllte sie die heitere Stimmung des Tages ein, Blumen standen in voller Blüte, die Welt befand sich im Gleichgewicht, die fernen, aufmunternden Klänge von Sousas Musik hallten in Wills Ohren nach. »Nun«, kläffte der Doktor und wirbelte zu ihm herum, nachdem er einem Paar, das neben den Rhododendronbüschen die gute Luft genoß, zugewunken hatte, »wahrscheinlich können Sie sich denken, worum es geht?«
    Will hatte keine Ahnung. Aber in einem plötzlichen Aufflackern von Erkenntnis, das unter seinem Brustbein begann, wie ein Pingpongball in sein Hirn hinaufschoß und von dort abprallte auf seine Zunge, stammelte er: »El-Eleanor?«
    »Ja, leider«, gluckste der Doktor und nickte ernst. Das Licht fing sich in seinem Haar, verlieh ihm eine trübselige medizinische Würde, wie er da breitbeinig auf dem Rasen stand, weder wich noch wankte. Will erstarrte vor Angst. »Aber kommen Sie, unterhalten wir uns peripatetisch«, sagte der Doktor, und seine Stimme klang ein klein wenig freundlicher, »um den

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