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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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ihn, und das Feuer in der Tiefe seiner Eingeweide flammte wieder auf. In diesem Augenblick, in diesem trostlosen, hoffnungslosen, in den Augen juckenden, auf den Wellen schaukelnden Abgrund von einem Augenblick begriff er, daß er Eleanor mehr liebte als alles andere auf der Welt. Eleanor, nur Eleanor.

8.
DAS VERHÄNGNISVOLLE MITTAGESSEN
    Es war komisch, um halb zwölf Uhr vormittags in einem verdunkelten Raum zu sitzen und einer Gruppe Matronen zuzusehen, die über die Bühne paradierten und Gesundheitskostslogans herausspien. Außerordentlich komisch. Und unbequem. Charlie Ossining empfand es als Form von Folter, nicht ganz so schlimm wie die Behandlung der Fußsohlen mit glühenden Eisen. Hatten sie nicht wenigstens jemanden halbwegs Attraktiven bekommen können? Oder zumindest jemanden unter Sechzig? Wo war Eleanor Lightbody, wenn man sie brauchte? Er hätte nichts dagegen gehabt, sie dort oben im Scheinwerferlicht zu sehen, wie sie über die Bühne tänzelte und ihre Zeilen über verwestes Fleisch und teuflischen Rum aufsagte, als würde sie es ernst meinen. Alle anderen hier waren durch die Bank Amateure – und nicht gerade eine Augenweide.
    Und doch war er da, im Großen Empfangssaal des Sanatoriums, mitten im Feldlager des Feindes, und litt, nur weil Mrs. Hookstratten es so wollte. Sie saß mit funkelnden Brillengläsern neben ihm, so versunken, als würde sie Sarah Bernhardt und John Barrymore in Aktion sehen. Sie hatte ihn für die Festlichkeiten eingeladen, beginnend mit der Theateraufführung, anschließend einem privaten Mittagessen, gefolgt vom restlichen Festtagsprogramm des San – Blaskapellen, ein abendliches Picknick, Feuerwerk und was nicht noch alles –, und die Einladung war absolut verpflichtend. Sie hatte auf seinem Kommen bestanden. Es gefordert. Nach seiner Anwesenheit verlangt. Und er hatte es nicht gewagt zu protestieren, denn sie bot einen Anreiz, der weit verlockender war als schiere Pflichterfüllung: Geld. Hartes Bargeld. Die nötigen Mittel, um Kopf und Kragen zu retten und sich wieder auf den Weg zu finanziellem Wohlergehen, Reichtum, seiner ersten von vielen, vielen weiteren Millionen zu begeben. Er würde doch noch ein Tycoon werden. O ja. O ja, in der Tat.
    Worauf es hinauslief, war folgendes: Mrs. Hookstratten würde ihre Investition verdoppeln. Und warum? Weil sie an ihn glaubte, weil er ihr Junge war, ihr eigener Junge, und weil er seine ganze Überzeugungskraft zum Einsatz gebracht, geredet hatte, bis ihm der Kehlkopf schmerzte und er keine Spucke mehr produzierte. Das ist eine sinnvolle Investition, und absolut sicher, versicherte er ihr am Tag nach der Tour durch die falsche Fabrik, und ich weiß sehr wohl, daß du bereits einer unserer größten Investoren bist, aber wir brauchen nun mal Kapital, um zu expandieren. Er nannte ihr Zahlen, erfundene, aber nichtsdestoweniger plausible, und erklärte, wie ihn Giganten wie Kellogg und Post unter Druck setzten, und sie war mitfühlend und nach der Besichtigung der Fabrik deutlich beruhigt, aber sie hielt sich zurück, war vorsichtig und hinhaltend und machte keine Zusagen. Er ließ nicht locker. Wenn er sich vor der Besichtigung rar gemacht hatte, war er jetzt unweigerlich an ihrer Seite. Sie aßen gemeinsam zu Mittag und zu Abend, sie frühstückten gemeinsam, er unternahm mit ihr Fahrten über Land und Spaziergänge im Park, und dabei trug er ununterbrochen sein Anliegen vor. Und jetzt hatte er sie endlich soweit: Heute beim Mittagessen wollte sie ihm einen Scheck über weitere siebentausendfünfhundert Dollar überreichen.
    Siebentausendfünfhundert Dollar! Der Betrag rüttelte ihn auf, ließ sein Blut schneller fließen – er hatte kaum die Nerven gehabt, eine Summe zu nennen, und doch, als es soweit war, bewegten sich seine Lippen. Wieviel brauchst du? fragte sie. Siebentausendfünfhundert Dollar, antwortete er, ohne zu zögern: eine Summe, die hoch, aber nicht unmöglich war. Er hatte auf die Hälfte gehofft und war willens gewesen, sich, wenn nötig, runterhandeln zu lassen – Bender hatte es ihm beigebracht. Natürlich mußte er den Namen Per-Fo aufgeben, und die wirkliche Fabrik würde um einiges bescheidener ausfallen als die fiktive, aber all das würde er ihr später erklären. Viel später.
    Jetzt jedoch war er wieder einmal Gast des Sanatoriums. Sein Backenbart war dicht geworden, er scheitelte das Haar jetzt in der Mitte und trug eine Brille, die er nicht brauchte, mit Gläsern aus Fensterglas, und er war

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