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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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bei dem Gedanken an das, was ihm diese Verbindungen bringen könnten. Und dann verstand er: Das war der Grund, warum Tantchen Hookstratten das kleine Mittagessen für ihn arrangiert hatte, natürlich, und wenn sie etwas gedankenverloren wirkte, dann weil sie besorgt war, daß er einen guten Eindruck hinterließ. Plötzlich fühlte er Zuneigung für sie in sich aufwallen. Wo war sie? Da, ganz vorne in der Menge, neben der Gräfin, die sie ihm früher vorgestellt hatte, führte sie ihre Gäste in den Palmengarten, unter dessen gläsernem Dach das Mittagessen stattfinden sollte. Sie war gut zu ihm, ja das war sie, und er beschloß, es ihr zu vergelten.
    Die Menge drängte sich um den Eingang zum Palmengarten; die meisten gingen weiter zu den Aufzügen, um oben im Speisesaal zu essen, ein paar Auserwählte schlenderten zwischen den Farnen und Kletterpflanzen umher, um sich dann an den langen, leinenbedeckten Tisch zu setzen, den er durch den Eingang sah. Charlie verweilte ein bißchen, verabschiedete sich von der einen Gruppe und plauderte freundschaftlich mit der nächsten, er hatte es nicht eilig, alles verlief in einem ruhigen, gemächlichen Tempo. Und während er dastand und die talgige Hand eines älteren Herrn aus Mississippi schüttelte – »Ich bin in der Baumwollbranche, mein Sohn, und was treiben Sie?« –, entdeckte er Eleanor Lightbody. Sie befand sich am Fuß der großen Treppe, in einem weißen Musselinkleid und mit einem breitkrempigen, mit künstlichen Blumen geschmückten Strohhut. Neben ihr stand eine ähnlich gekleidete Frau mit einem Picknickkorb im Arm und einem Fernglas um den Hals. Sie verweilten müßig am Geländer, überblickten die Menge, als hielten sie nach jemandem Ausschau. Charlie entschuldigte sich und bahnte sich einen Weg zu ihnen.
    »Eleanor«, sagte er, als er bei ihr anlangte und ihre Hand nahm, und alle Gedanken an die Demütigung, wie ein Hausierer durch den Regen zu zotteln, waren mit einem Schlag gebannt.
    »Oh«, sagte sie überrascht und blickte dann zu Boden, und es war, als hätte er sie in einem intimen Augenblick gestört, »hallo.« Sie wirkte verwirrt. Für einen Augenblick schien sie die Selbstbeherrschung verloren zu haben, die ihn zugleich erregte und sie ihm entfremdete.
    Er war plötzlich betreten – würde sie ihn brüskieren? –, und er entzog ihr seine Hand und versteckte sie hinter dem Rücken. »Ich bin hier, um Mrs. Hookstratten -Tantchen Amelia – zu besuchen, und ich dachte, ich sage schnell hallo …«
    »O ja, natürlich – Ihr Mittagessen.«
    Er war überrascht. »Sie wissen davon?«
    Ihre Augen waren kalt, durchscheinend, Glas. »Natürlich – und ich wäre so gern gekommen, aber leider hatte ich bereits eine Verabredung. Virginia und ich wollen Vögel beobachten … Kennen Sie Virginia?«
    Eleanors Begleiterin – sie war ungefähr vierzig, hatte einen dunklen Teint, einen überdimensionalen Busen und Hüften, die sich unter ihrem Kleid wie Sicheln abzeichneten – streckte ihm die Hand entgegen. Charlie nahm sie.
    »Virginia Cranehill«, sagte Eleanor. »Charlie Ossining.«
    »Der Mann von Per-Fo«, bemerkte Virginia grinsend, und Eleanor sah sie scharf an. »Ist mir ein Vergnügen.«
    »Ganz meinerseits«, sagte Charlie und fragte sich, was zwischen den beiden vorging – und wieso wußte diese Frau über ihn Bescheid? Hatte Eleanor ihr von ihm erzählt? Mrs. Hookstratten? Und was hatten sie gesagt – dem Grinsen nach zu urteilen, konnte es nicht gerade schmeichelhaft gewesen sein. Nach all den vielen Monaten machte sich Eleanor Lightbody noch immer über ihn lustig. Er spürte Abneigung gegen sie in sich aufsteigen – und wer war sie überhaupt, daß sie sich so überlegen fühlte? Was hatte sie in ihrem Leben erreicht – einen reichen Mann geheiratet? Er würde es ihr zeigen. Er würde es ihnen allen zeigen.
    »Amelia hat mir erzählt, daß Ihre neue Fabrik wirklich beeindruckend ist«, sagte Eleanor, und die alte Spottlust tanzte in ihren Augen, »sehr modern und effizient. Sie müssen hocherfreut sein, daß Sie es so schnell so weit gebracht haben.«
    Ihr Ton war nicht mißzuverstehen, und er fröstelte. Wieviel wußte sie? Wieviel wußten sie alle? Das Gefühl des Unbehagens, das er den ganzen Morgen über verspürt hatte, hatte ihn wieder fest im Griff. Irgend etwas stimmte hier nicht, stimmte ganz und gar nicht.
    Er blickte auf die vergoldeten Verzierungen, auf die teuer gekleideten Männer und Frauen mit der gepflegten Aussprache,

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