Willkommen in Wellville
entspannte oder das geistreiche Geschäker aufnahm oder die romantischen Anspielungen machte, auf die er sich so gefreut hatte. Im Gegensatz zu ihm wirkte Irene mit ihrem breitkrempigen Panamahut, der mit künstlichen Blumen und seidenen Schmetterlingen dekoriert war, vollkommen entspannt – nicht ein einziges Mal griff sie an den Hut, egal, wie steif die Brise wehte. Die Mysterien des Weiblichen, dachte Will, dem der Arm vom langen Halten des Huts schmerzte. Oder vielleicht auch nur Hutnadeln.
Der Anblick des Sees heiterte ihn auf. Sie fuhren durch den Wald bis zu einem öffentlichen Strand, wo unzählige Menschen auf Decken saßen und picknickten und Kinder herumrannten und für einen gesunden Lärmpegel sorgten. Der See warf das Sonnenlicht in wogenden Blitzen und plötzlich aufleuchtenden Funken zurück, brandete gegen das Ufer, als wollte er dessen Grenzen erforschen, und trotz des Windes trieben nicht wenige Boote auf seiner spiegelnden Oberfläche. Will sah Skullboote, Ruderboote, ein halbes Dutzend Segelboote und weit draußen einen der Dampfer, die die Leute nach Picnic Island und Jenning’s Landing brachten. Das machte ihm Mut. Er war aufgeregt. Nichts konnte ihn vom Rudern abhalten.
Unglücklicherweise hatte der Wind den ganzen Morgen die Wiesen mit ihrer explosiven Ladung an Pollen durchgekämmt, und das bremste ihn ein bißchen. Seine Augenlider juckten, er mußte ununterbrochen niesen, und über seiner Nase, genau zwischen den Augen, war eine Stelle, die pochte, als hätte man mit einem Holzhammer daraufgeschlagen. Er hatte auch ein bißchen Schwierigkeiten mit dem Atmen – die Luftröhre war gewissermaßen zugeschnürt –, aber das waren die altbekannten Symptome, die ihn seit seiner Kindheit jeweils im Frühjahr und Herbst plagten. Was machte es schon, daß er Plattfüße, Heuschnupfen und einen ruinierten Magen hatte? Hätte das Roosevelt, Peary oder Harry K. Thaw aufgehalten? Das hier war seine beste Chance, und er würde sie sich nicht durch die Lappen gehen lassen wegen einer laufenden Nase und juckender Augen. Natürlich war da auch noch die Sache mit dem Ruderboot – die halbe Nacht hatte er wachgelegen und versucht, sich daran zu erinnern, wie man während des Ruderns saß. Mit dem Rücken nach vorn oder mit der Vorderseite nach hinten?
Wenn er etwas unsicher war – da wollte sein verdammter Hut wieder davonfliegen, doch diesmal konnte er ihn gerade noch festhalten –, so merkte es Irene nicht. Sie war ausgesprochen heiter, ein sanftes Lächeln der Vorfreude umspielte ihre Lippen, und sie war bereit, sich dem Augenblick hinzugeben, spontan und freiwillig, zu allem bereit – heute Goguac Lake, morgen Peterskill. Was für eine Frau. Was für ein Juwel von einer Frau. Aber sie schien etwas zu ihm zu sagen, als er ihr aus dem Wagen half und herumfuchtelte, um ihr den Sonnenschirm zu reichen, ohne seinen Hut loszulassen. Sie mußte sich wiederholen, da der Wind Streiche mit seinen Ohren spielte. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, den Korb zu tragen, Mr. Lightbody?«
Der Korb. Ja, natürlich. Und praktisch war sie auch noch. Man konnte wohl schlecht ein Picknick veranstalten ohne einen Korb, vollgepackt mit Köstlichkeiten aus dem Sanatorium – Sandwiches mit Bohnenpaste, Endiviensalat und Grahamschrotplätzchen und süffigem, schaumigem Kumyß und Traubensaft, um das Ganze hinunterzuspülen. Aber was für ein hübsches Kleid, was für eine hervorragende Paßform. Er würde sie darauf ansprechen müssen. Wunderbares Material. Wirklich.
Der Fahrer, ein magerer, vorsintflutlich wirkender Mann mit weißem Haar und Backenbart, machte auf dem Vordersitz ein Theater mit dem Korb. »Ich kann das allein«, sagte Will und nahm ihn dem protestierenden Mann ab, »kein Problem, wirklich, überhaupt keins.« Den Korb im Arm, wartete Will, während Irene dem Fahrer Anweisung gab, sie um halb sechs wieder abzuholen, wobei sie hinzufügte – und dabei zwinkerte sie Will zu –, daß ihr Paradepatient keinesfalls sein Abendessen versäumen dürfe. Und dann gingen sie los, den Weg hinunter zum Anlegeplatz, wo die Mietboote an den Tauen wie Lebewesen auf- und abhüpften und hin- und herglitten und die windgepeitschten Wellen Gischt ans Ufer spritzten. Es war ein vielversprechender, intimer, nahezu lauschiger Augenblick, und er wollte sich bei ihr unterhaken, die natürlichste Sache der Welt, aber er mußte feststellen, daß er keinen Arm mehr frei hatte, im einen trug er den Korb, der andere diente zum
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