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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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und plötzlich war er wütend. Sie war eine von ihnen, und er war ein Nichts für sie, ein Spielzeug, nichts weiter als jemand, der sie zerstreute. Das war keine Romantik gewesen bei ihrem weihnachtlichen Essen, keine Intimität. Sie war reich und hatte sich gelangweilt, und ihr Mann war indisponiert gewesen, und die halbe Belegschaft des San war über die Feiertage nach Hause gefahren, und deswegen hatte sie ihn herausgegriffen, so wie sie einen Schoßhund oder einen Schauerroman aufgehoben haben würde. Er war nichts, überhaupt nichts.
    »Sie sehen dünn aus«, konterte er. »Bekommt Ihnen die Diät nicht?«
    Keine Spur von Amüsement in den arktischen Augen. Er sah kurz auf den Eingang zum Palmengarten – die Menge verlief sich allmählich. »Ich habe gefastet«, sagte sie schließlich. »Das ist die neueste Kur. Aber heute werden wir essen, nicht wahr, Virginia?«
    Virginia tätschelte den Korb und stieß ein kurzes, verklemmtes, nasales Lachen aus.
    Charlie sah sie nicht einmal an. Er musterte weiterhin Eleanor. »Und Ihre Haut«, sagte er. »Waren Sie an der Sonne?«
    Er schien eine wunde Stelle getroffen zu haben. Eleanor griff sich instinktiv mit der Hand an den Hals, und die Hand kontrastierte scharf mit dem hohen weißen Kragen des Kleides. Sie war dunkel, dunkel wie eine Zigeunerin. »Ja, natürlich«, sagte sie, und eine Zornesfalte erschien zwischen ihren Augen. »Die Sonnenstrahlen sind ganz und gar natürlich und gesundheitsfördernd, und wir sollten sie aufnehmen, wann immer wir können – und weiße Kleidung tragen wie Dr. Kellogg und den gesundheitsfördernden Strahlen gestatten, bis zu unserem innersten Fleisch vorzudringen, das nie das Tageslicht gesehen hat. Das ist eine grundlegende wissenschaftliche Wahrheit, Mr. Ossining« – jetzt war ihr Umgangston wieder formell, als wären sie Fremde –, »eine, der sogar Sie sich bewußt sein sollten.«
    Er wollte etwas Bissiges sagen, etwas über Waschweiber und Traubenstampferinnen und wie sehr sie die Sonne liebten, aber er kam nicht dazu. In diesem Augenblick fiel schräg, aufdringlich und laut der Mann, der Eleanor an jenem verregneten Aprilnachmittag begleitet hatte, über sie her – der mit dem übergroßen Kopf und der nörgelnden, abgehackten Stimme. »Eleanor, Virginia«, rasselte der Mann und schüttelte ihnen die Hand, wobei er Charlie völlig ignorierte, »sind Sie soweit?«
    Sie waren soweit. Sie sammelten sich, machten winzige Schritte auf der Stelle, hoben eine Schulter, strichen das Kleid glatt, langten an den Hut: Frauen, kurz bevor sie sich in Bewegung setzten. »Sie sehen bezaubernd aus«, knurrte der großköpfige Mann und streckte einen Arm aus, um ihnen die Richtung zu weisen, »absolut bezaubernd. Beide.«
    Charlie spürte, daß etwas in ihm explodierte. Er würde sich nicht so behandeln, sich nicht ignorieren lassen. Er war geschäftsführender Direktor von Per-Fo, ob die Firma nun florierte oder nicht, und große Dinge lagen vor ihm. »Freut mich, Sie wieder einmal gesehen zu haben, Eleanor« ,sagte er so giftig, wie er nur konnte.
    Die kleine Gruppe hielt an, blieb stehen und wandte sich ihm zu, und der Mann mit dem großen Kopf – Badger, hieß er nicht so? – sah aus, als hätte er gerade einen Erdklumpen vor seinen Augen sich erheben, menschliche Gestalt annehmen und sprechen sehen. Virginia Cranehill senkte peinlich berührt den Kopf. Eleanor schob den Unterkiefer vor. Sie sah sich einmal im Raum um, und dann beugte sie sich ohne Vorwarnung zu Charlie, packte seinen Ellbogen mit einem raubvogelartigen Griff und zog ihn ein paar Schritte von den anderen weg. »Ich weiß alles über die tausend Dollar«, zischte sie, und ihr Atem wehte heiß in sein Gesicht. »Sie haben meinen Mann ausgenutzt, als er am schwächsten war, einen armen, kranken Mann, der um sein Leben kämpfte –«
    »Es war eine rechtmäßige Investition.«
    »In was?« Ihre Gesichter waren sich so nah, als würden sie sich umarmen. Ein in Sanatoriumsweiß gekleideter Mann mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete sie ruhig von der anderen Seite des Raums. »In eine fiktive Firma? In einen Schwindel, eine Täuschung, eine Illusion? In den Charles P. Ossining Pensionsfonds? Wo ist diese ›Investition‹ jetzt?« Sie zitterte. Ihre Augen bohrten sich in die seinen. Sie verstärkte den Griff um seinen Arm und stieß ihn dann weg, als wäre er etwas, was sie von der Straße aufgehoben hatte. »Für Leute wie Sie gibt es Gesetze.«
    Er wollte

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