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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Signal katapultierte ihn aus dem Bett, und mit einem warnenden Ruf wies er die Schwester in die Schranken: »Fassen Sie es nicht an – ich erwarte einen Anruf!«
    Und so war es. Obwohl es ihm unangenehm war und gegen den Strich ging und er sich dafür schämte, es so arrangiert zu haben, erwartete er einen Anruf. Vom Fahrer des Sanatoriumswagens, der Eleanor und Virginia zum »Vögel beobachten« gebracht hatte. »Hallo?« keuchte er in die Sprechmuschel.
    Die Stimme am anderen Ende klang so klar und volltönend, daß sie präsenter wirkte als die von Schwester Bloethal – und sie stand gleich neben ihm und wartete, die Stirn ungeduldig in Falten gelegt. »Sie wollten was über diese Leute wissen!«
    Will stockte der Atem. Er wandte der Schwester den Rücken zu und beugte sich über den Apparat. »Ja?«
    »Also, da waren die beiden Damen, von denen ursprünglich die Rede war, und dann kam gleich auf der Treppe vor dem Sanatorium ein Mann mit rötlichgelbem Haar dazu, der während der Fahrt nicht eine Sekunde den Mund gehalten hat –«
    »Wohin? Wohin sind sie gefahren?«
    »Also, ich muß Ihnen sagen, daß das noch nicht alle waren – es kam noch einer.«
    Noch einer. Will spürte den Schlag dieser drei kurzen Silben dort, wo es ihn am meisten schmerzte, und unwillkürlich strich er über die Narbe auf seinem Bauch. Er wußte, was kommen würde, wußte es so gewiß, als würde er eine Seite in einem Buch umblättern.
    »Noch ein Herr, irgendein Ausländer. Trug ein Monokel und ging, als hätte er einen Stecken im Arsch, wenn Sie den Ausdruck entschuldigen. Haben ihn in einem Wohnhaus in der Jordan Street abgeholt.«
    Will spürte den Blick der Schwester auf sich, und er griff sich an den Nacken, wie um ihn abzuschütteln – »Mr. Lightbody, ich bin soweit«, dröhnte sie –, und er wandte sich ihr halb zu, und die Worte brachen aus ihm heraus: »Nur einen Augenblick! Verdammt noch mal, nur einen Augenblick!«
    Dann bellte er ins Telephon: »Wo sind sie?«
    »Kennen Sie die Kalamazoo Road? Ungefähr fünf Meilen außerhalb der Stadt Richtung Westen? Dort am Meilenstein habe ich sie abgesetzt. Sie gingen über die Wiese – das muß die Onderdonk-Farm sein – und vermutlich hinunter zum Fluß. Sie hatten einen Picknickkorb dabei, also vermute ich mal, daß sie ein Picknick machen werden – und sie haben sich den richtigen Tag dafür ausgesucht.«
    Will legte auf, ohne zu antworten. Die Onderdonk-Farm, aha. Er sprang vom Stuhl hoch, während ihm das Blut in den Ohren rauschte, überprüfte seine Taschen und langte nach Hut und Jackett, als Schwester Bloethal erneut in sein Sichtfeld geriet. Er war außer sich, verzweifelt, halb wahnsinnig, weil es ihm so pressierte, und da stand sie am Horizont, groß wie ein Schiff, ein wandelnder Berg, ein hundertachtzig Pfund schweres physiologisches Hindernis. »Ich sagte, ich bin soweit«, wiederholte sie.
    »Nicht jetzt«, rief Will und schlüpfte in sein Jackett, »es handelt sich um einen Notfall.« Und er stürzte zur Tür.
    Schwester Bloethal ließ so nicht mit sich umspringen. Sie stand in der Tür, versperrte ihm den Weg, die Arme vor der Brust verschränkt, einen unnachgiebigen, eisernen Ausdruck im Gesicht, der besagte, daß es keine Ausnahme von der Regel gäbe.
    Will richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Er hatte einen Adrenalinschub, zitterte, wütete. »Aus dem Weg!« donnerte er.
    Ihre Finger klammerten sich noch fester um das Klistier. Ihr Blick war teilnahmslos, nichtssagend, ohne Glanz oder Mitgefühl. »Tut mir leid«, sagte sie.
    Allem Anschein zum Trotz war sie eine Frau, ein zerbrechliches Gefäß, eine Vertreterin des schwächeren Geschlechts, dem jeder Mann von Ehre selbstverständlich verpflichtet war zu dienen und das es zu beschützen galt, aber trotzdem mangelte dem, was folgte, jegliche Höflichkeit und Zurückhaltung. »Mir auch!« brüllte Will plötzlich und warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen den steifen, ausgestreckten Arm, so daß der Klistierbeutel zerdrückt wurde, heißes Paraffin, Wasser und Molke spritzten und Schwester Bloethal taumelnd in die Ecke geschleudert wurde wie ein genau in der Mitte getroffener Kegel. Er war nicht mehr da, um Zeuge zu sein, wie ihr schwerer Hintern aufschlug, aber er hörte den dumpfen Aufprall, hörte das Klappern und Krachen und das plötzliche scheppernde Zerspringen der Keramikvase auf der Kommode, während er schon den Flur entlanglief, mit vorgebeugten Schultern Schenkel und Gelenke zu

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