Willkommen in Wellville
wieder etwas in der Ecke. Er hörte ein schabendes, kratzendes Geräusch, das zu einem leisen Rascheln wurde und dann zu einem von gedämpften Flüchen unterlegten Krachen. Charlie war nicht allein. Er blickte über die Schulter und durch zwei akkurat hintereinander angeordnete Türrahmen zum Kutscher hinaus, der vornübergebeugt auf seinem Sitz saß, und dann zurück in die Ecke hinter dem weiter entfernten Ofen, wo eine fluchende, den Müll vor sich herkickende Gestalt aus dem Dunkel auftauchte. »Hallo?« rief Charlie. Und dann, unsinnigerweise: »Ist da jemand?«
Die Gestalt zögerte – es war ein Mann, das sah Charlie jetzt, bekleidet mit einem zerrissenen Überzieher und einem alten seidenen Zylinder, dem die Krone fehlte und der wie ein Ofenrohr auf seinem Kopf saß. Ein Bettler. Ein Penner. Unwillkürlich langte Charlie nach seiner Brieftasche, doch dann fiel ihm ein, daß Mrs. Hookstrattens Geld nicht länger seine Sorge war – und er entspannte sich. Die Stimme des Mannes schallte zu ihm herüber, dumpf, heiser, drohend: »Wer zum Teufel will das wissen?«
Der Penner näherte sich ihm, seine Augen trübe vor Alkohol, ein glänzender Spritzer Erbrochenes tröpfelte vorne an seinem Mantel hinunter. Sein Haar war völlig wirr, dunkel, mit vermodertem Laub und einem filigranen Netz aus Fusseln und Spinnweben verklebt, als hätte er den Boden damit aufgewischt. Er stank wie eine Wanderratte.
Charlie ließ sich nicht einschüchtern. Er würde jedem die Stirn bieten, und viele Male hatte er es bereits gemußt – auf der St. Basil’s Academy, wo er dank der Gleichgültigkeit seiner Eltern und Mrs. Hookstrattens Großzügigkeit Aufnahme gefunden hatte und wo er der jüngste gewesen war, und später in den Gasthäusern und Hinterzimmern von Peterskill, Tarrytown, Croton und Ossining. Charlie war bewandert in der Kunst des Faustkampfs – und außerdem, wenn jemand das Recht hatte, sich hier an diesem unseligen, gottverlassenen Ort zu befinden, dann war es der geschäftsführende Direktor der Firma, die über den Kauf des Geländes verhandelte. Er wich nicht zurück.
Der Penner näherte sich ihm bis auf fünf Schritte, blieb plötzlich stehen und blickte sich einen Augenblick lang um, als hätte er etwas vergessen. Dann sah er ihn an, scharf und schnell, seine Trunkenheit eine Wolke, die von etwas Heißerem, Intensiverem, Schärferem verbrannt worden war, als Charlie es sich bei diesem Mann hätte vorstellen können. »Sie halten mich wohl für einen Penner, was?« sagte der Mann. »Für die Sorte, die um Kleingeld bettelt und in Hauseingängen schläft. Stimmt’s?«
»Hören Sie, Freund«, zischte Charlie, und er verschränkte die Arme und schob den Unterkiefer vor, »es ist mir scheißegal, wer Sie sind oder wo Sie schlafen, und ich hab’ auch nicht darum gebeten, daß Sie sich vorstellen.«
Ein Vorhang schmierigen Haars fiel über das Gesicht des Mannes, als er sich vorbeugte, um auszuspucken, und er schwankte ein bißchen. Charlie war bereit, ihn niederzuschlagen, falls der andere tatsächlich Händel suchte. Aber der Penner war vergeßlich. Mit einer ruckartigen Halsbewegung warf er sein Haar zurück und lächelte Charlie an. Es war ein vertrauliches, irres Lächeln, ein Reflex der Lippen über verfaulten Zähnen, aber in diesem Moment sah Charlie, daß der Mann jung war, jünger als er selbst. »Jetzt hören Sie mir mal zu«, sagte der Penner, und sein Atem stieg in Schwaden auf. »Sie werden’s nicht glauben, aber ich habe hundert Dollar in bar bei mir. Bargeld. Vom Schatzamt der Vereinigten Staaten herausgegebene Geldscheine. Also, darauf können Sie wetten. Einhundert Dollar – oder fast, minus ein paar Kröten für einen oder zwei Whiskeys.« Plötzlich kam Wind auf, eine Bö, die durch die Fenster hereinwehte, zweimal die Runde durch das kleine Amphitheater machte und wieder hinausschoß. »Ich könnte ein Zimmer in der Post Tavern nehmen, wenn ich wollte, mit allem Drum und Dran, verstehen Sie?«
Plötzlich langweilte sich Charlie. Sollte der arme Idiot doch in diesem Loch schlafen, wen kümmerte es? Die Fabrik bedeutete ihm nichts. Vielleicht war es interessant, sich vorzustellen, wie es hier einst ausgesehen hatte, aber sie war ganz eindeutig nicht das, wonach sie suchten. Und gegenüber Bender würde er diesbezüglich kein Blatt vor den Mund nehmen. Sie müßten nur mehr Investoren auftreiben, das war alles. Er drehte sich abrupt um und bahnte sich einen Weg durch den Schutt hinaus auf
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