Willkommen in Wellville
die Straße.
»He, Mister«, rief der Penner in seinem Rücken, aber Charlie ging weiter. »Mister, ich rede mit Ihnen.«
Charlie blieb am Eingang stehen, um eine Zigarette herauszukramen und sie anzuzünden. Er wandte sich zu dem Mann im Halbdunkel um, in dessen bärtigem Gesicht es arbeitete. »Es geht ums Frühstückskostgeschäft, oder?« rief er. »Deswegen sind Sie hier in diesem Scheißloch in Ihren gewienerten Schuhen und Ihrem neuen Überzieher – Frühstückskost. Stimmt’s?«
Charlie machte sich nicht die Mühe zu antworten. Er zog an der Zigarette und merkte, daß er Hunger hatte. Was er wollte, war ein Steak. Und ein paar Austern – zum Teufel mit Battle Freaks, Nahrungspuristen und Gesundheitsaposteln. Er zog die Aussichten bei Mrs. Eyvindsdottir in Betracht – norwegische Fischkopfsuppe oder ähnlichen Spülicht – und überlegte, wo er ein gutes Hamburger-Sandwich bekommen könnte, ohne sich dabei bis aufs Hemd ausnehmen zu lassen.
Der Penner schwadronierte weiter. »Ich kann’s Ihnen ansehen«, spuckte er mit rissiger, brüchiger Stimme, »Sie sehen aus wie ein Hochstapler, der Millionär spielt, genau wie mein Onkel. Oder schlimmer noch, mein Möchtegernvater, der heilige Mann aus dem Tempel höchstpersönlich. Kennen Sie ihn, kennen Sie meinen Vater?«
Charlie kannte seinen Vater nicht, und es lag ihm auch nichts dran, ihn kennenzulernen. Er schnippte die Zigarettenkippe fort, drehte sich um und schlenderte über den mit Abfall übersäten Hof bis zum kalten Ledersitz der Droschke.
»Wohin jetzt, Diamanten-Jim?« fragte der Kutscher, Er hätte aussteigen und zu Fuß gehen sollen, um das Geld zu sparen, aber er war müde, gereizt, zutiefst deprimiert wegen der Ruine von einer Fabrik, der mit wertlosen Aktien vollgestopften Matratze, der drängelnden Jungen am Bahnhof – Himmel, sogar die Penner auf der Straße brabbelten von Frühstückskost –, und er beschloß, daß er unbedingt Bender finden mußte, auf der Stelle, sofort, egal, was es kostete. Das Unbehagen, das er den ganzen Tag über verspürt hatte, ließ sich wie ein kalter, vom Topfboden gekratzter Klumpen Haferschleim in seinem Magen nieder, und er glaubte, sich übergeben zu müssen. Wenn so viele vor ihnen gekommen und gescheitert waren, was hatten sie dann überhaupt für eine Chance? Was für eine Chance hatten sie, Geld aufzutreiben, Maschinen und Werbeflächen zu kaufen und Arbeitskräfte zu bezahlen? Er war ein Narr gewesen, das sah er jetzt, als er im Zug Austern gegessen und Champagner getrunken und so getan hatte, als wäre er ein feiner Pinkel – glaubte er denn, das Geld würde ihm in den Schoß fallen? Woher sollte das Getreide kommen? Wer sollte die Schachteln füllen? Wer sollte sie kaufen? Bender. Er mußte Bender finden. »Fahren Sie mich zur Post Tavern«, sagte er, und seine Stimme war so leise, daß er den Satz wiederholen mußte, bevor ihn der Kutscher verstand.
Die Straßenlampen schimmerten sanft, und die Schaufenster der Läden waren beleuchtet, als sie vor dem Hotel ankamen, wo aus zwei Automobilen und einem halben Dutzend Droschken Fahrgäste aus- und einstiegen. Auf den Straßen herrschte frühabendliche Geschäftigkeit, Paare spazierten Arm in Arm umher, Menschen hasteten in Läden hinein und wieder heraus, Arbeiter eilten zum Essen nach Hause, und trotz seiner Bedenken bemerkte Charlie, daß die Stadt ihre Reize besaß. Es war eine reiche Stadt, soviel stand fest. Die Leute hatten Geld – Frühstücksflocken-Geld –, und sie waren entschlossen, es auszugeben. Er nahm sich vor, herumzuschlendern und die Lebensmittelläden aufzusuchen, um sich einen Überblick zu verschaffen, welche Marken sie vorrätig hatten – natürlich erst nachdem er mit Bender gesprochen und etwas gegessen hatte. Er kramte in seiner Tasche, als der Kutscher sich umwandte und sagte: »Das macht fünfundachtzig Cent – außer Sie wollen noch mal zurück zum Bootsclub.«
»Fünfundachtzig Cent? Sind Sie verrückt? Sie sagten, fünfzig Cent bis zum See und fünfundzwanzig bis zur Fabrik –«
»Und zehn Cent wieder zurück.«
Charlie spürte, wie Frustration in ihm hochstieg, all die kleinen Sticheleien und Frotzeleien des Kutschers fielen ihm in diesem eiskalten Augenblick wieder ein. »Aber Sie … ich habe gedacht –«
»Einen Scheißdreck haben Sie gedacht«, knurrte der Kutscher, sammelte Schleim im Hals und ließ ihn über den Gaumen rollen, bevor er ihn auf die Straße spuckte, »wofür halten Sie mich, für
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