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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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des Sees. Irgendwo in Battle Creek zum Beispiel. In einem gutgeheizten Gasthaus oder Restaurant, in einer Hütte oder einem Saal. Der Kutscher spuckte, holte ein schmutziges Taschentuch hervor, schneuzte sich und spuckte nochmals. Charlie saß da und kam sich wie ein Idiot vor. Aber dann fiel sein Blick auf den zweiten Teil von Benders Nachricht – die Adresse des Fabrikgeländes, Verona Wattles, wo immer das war. Es war nicht gesagt, daß der Tag vollständig vergeudet war. Er könnte jetzt dorthin fahren, sich das Gelände ansehen, einen Vorsprung herausholen. »Hören Sie, Kutscher«, rief er und steckte den Kopf zum Fenster hinaus. »Wissen Sie, wo das ist, Verona Wattles?«
    Der Kutscher kauerte zusammengesackt auf dem Bock. Das Pferd ließ eine Ladung fallen und erschauderte. Kein Geräusch war zu hören außer dem Wind, der in den Bäumen saß, und den Wellen, die gegen die Eiszähne des Ufers schlugen. »Ich kenne eine Verona Avenue«, sagte der Kutscher schließlich, ohne sich umzuwenden. »Und eine Wattles Lane. Das wird Sie noch mal fünfundzwanzig Cent kosten, zusätzlich zu dem, was Sie mir schon schulden.«
    Sosehr er auch Vernunftgründe geltend machte und sosehr ihm Benders Extravaganzen zuwider waren, Charlie trennte sich nicht gern von Geld – insbesondere nicht von Mrs. Hookstrattens Geld. Jawohl, sagte er sich, er fror, er war zynisch, ruchlos und berechnend, ein Tycoon in spe, dazu geboren, die Reichen zu schröpfen, aber Mrs. Hookstratten war gut zu ihm gewesen, und er wollte aufrichtig, daß sie für ihr investiertes Geld einen fairen Gegenwert erhielt – während er, das verstand sich von selbst, gleichzeitig selber ein Vermögen anhäufte. Andererseits wollte er unbedingt etwas unternehmen, irgend etwas, er wollte die Firma in Gang bringen und zusehen, wie die Gewinne in der Kasse klingelten. Wenn er zu Mrs. Eyvindsdottir zurückkehrte und an Fischgräten lutschte, würde er nichts erreichen, soviel stand fest. Er hob die Stimme, um den Wind zu übertönen. »Fahren Sie los«, sagte er.
    Es dämmerte bereits, als sie das alte Malta-Vita-Gelände Ecke Verona Avenue/Wattles Lane erreichten. Die Firma hatte sechs Jahre zuvor kurzfristig einen spektakulären Erfolg verbucht, als sie Dr. Kelloggs Granose-Flocken verbesserte, indem sie sie mit Gersten-Malz-Sirup süßte und auf das neue Produkt ein Patent erhielt. Zwei auswärtige Unternehmer, Goodloe H. Bender und Charles P. Ossining nicht unähnlich, warben den Chefbäcker von Dr. Kelloggs Nahrungsmittelfirma ab und hatten bald fünf große Öfen Tag und Nacht in Betrieb. (Die Öfen, jeder drei Etagen hoch, funktionierten nach dem Riesenrad-Prinzip: sie ließen die Weizenflocken zirkulieren, bis sie trocken, knusprig, lecker, das heißt, perfekt getoastet waren.) Die Leute waren reif dafür. Der Hafergrütze waren sie überdrüssig, Maisbrei hatten sie satt, Pökelfleisch, Maisbrot und Pfannkuchen schlugen ihnen auf die Galle, und sie waren bis obenhin voll mit Malta-Vita-Werbung, so daß sie sofort erkannten, daß das neue Produkt praktisch, nahrhaft, wissenschaftlich, physiologisch, hygienisch und schlichtweg simpel zuzubereiten war: Man öffne die Packung, schütte den Inhalt aus, füge Milch hinzu und esse. Erfolg brandete hoch wie Applaus. Die frischgebackenen Tycoons errichteten eine zweite Fabrik in Toronto; sie verschifften Kiste um Kiste der knusprigen, uniformen Weizenflocken, Wagenladungen, ganze bis unters Dach vollgestopfte Frachtwaggons, und sie verschifften sie nach Mexiko, nach Frankreich, Deutschland, Norwegen und in die Tschechoslowakei. Aber dann verkauften die ursprünglichen Unternehmer ihre Anteile – für eine hübsche Summe –, und das Produkt wurde schlechter. Der Mann von Kellogg ging woandershin, verführt von einem Angebot, das er nicht ausschlagen konnte, und irgend etwas im Herstellungsprozeß lief schief. Die Flocken schimmelten. Wurden ranzig. Vergammelten auf den Regalen und in der Schüssel. Und Grape-Nuts, Golden Manna, Norka Oats, Tryabita, Nullo-Fruto, Egg-O-See und ungefähr vierzig andere Unternehmen warfen sich in die Bresche.
    Und Charlie Ossining? Er war ein bißchen spät dran.
    Charlie stieg aus der Droschke und spazierte vorsichtig durch die Ruinen der Fabrik, erstaunt angesichts der Zerstörung, die in wenigen Jahren hatte angerichtet werden können. Das Gebäude war einst eindrucksvoll gewesen, eine mächtige Festung mit Backsteinwänden und einem gewölbten Dach, aber jetzt war es ein

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