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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Trümmerfeld. Es hatte gebrannt, soviel war von der Straße aus zu sehen, schwarze Finger streckten sich zu den Fenstern, das Dach war eingestürzt, ein Durcheinander verkohlter Holzbalken. Einer der Balken hatte im Einstürzen ein V-förmiges Loch in die hintere Wand geschlagen, und man sah an dem Backstein vorbei auf das Gewirr der winterlichen Bäume. Es gab keine Türen mehr, und auch die Fenster waren leer, die Scheiben längst zerbrochen, die hölzernen Rahmen entweder zu Asche verbrannt oder zur Wiederverwertung herausgerissen. Es war kein Ort zum Wohnen, aber im Lauf der letzten Monate und Jahre hatten hier Menschen Obdach gesucht – Landstreicher, Wanderarbeiter, Fabrikarbeiter, die während der Boomjahre 1902 und 1903 keine Wohnung gefunden hatten – und den Abfall ihres Lebens zurückgelassen. Der übliche Wust an Arzneifläschchen, Büchsen, Schachteln, Knochen und Fetzen vergilbten Zeitungspapiers lag herum, aber es gab auch persönlichere Dinge – ein Waschbrett, eine Kommode, oben eingeschlagen und ohne Schubladen, ein Stiefel, eine Socke, ein Fetzen Baumwollstoff. Und darunter ein dünner, glitzernder Teppich aus zerbrochenem Glas.
    Der sinnlose Verfall, das war es, was Charlie im Innersten traf. Er fühlte sich an das Gedicht über den im Sand vergrabenen Kopf aus Stein erinnert, das er in der Schule hatte aufsagen müssen. Das war das Fabrikgelände – ein im Sand vergrabener Kopf aus Stein. Für diesen Ort gab es keine Hoffnung mehr. Überhaupt keine. Charlie spürte, wie sein Mut sank. Er atmete schnell und flach, und trotz des eisigen Winds schwitzte er, unter den Armen, unter dem Hutrand, und ein kalter, nasser Finger strich sein Rückgrat hinunter. Plötzlich hatte er Angst um Mrs. Hookstratten, Angst um sich selbst. Das war das Gelände, das Bender ausgesucht hatte? Auf diesem Gelände sollte Per-Fo florieren? Es lag ein Fluch darauf, ein Verhängnis, es war der mörderische Schauplatz des Versagens und der Verzweiflung. Er begann an Benders Urteilsfähigkeit zu zweifeln, sogar an seiner geistigen Zurechnungsfähigkeit.
    Sein erster Impuls war, auf der Stelle kehrtzumachen, zu Bender zu gehen und ihm zu sagen, daß er’s vergessen solle, daß sie besser dran wären, wenn sie ganz von vorne anfingen, aber die morbide Faszination des Archäologen hatte ihn erfaßt, und er bahnte sich einen Weg durch den Müll nach hinten, zu der großen offenen Halle, um einen Blick auf die Ofen zu werfen. Ein Vogel – oder war es eine Fledermaus? – schoß durch den Raum und hinaus in die dichter werdende Dunkelheit, als er durch den Türrahmen trat, und irgend etwas – Ratten? – rührte sich in einer Ecke. Dann war es still. Unheimlich still.
    Zwei der großen, dreistöckigen Öfen waren noch da, ragten auf zwischen den Ruinen und empor in den Himmel, verrostet, zerschlagen, übersät mit Schwalbennestern und den matschigen dunklen Überresten von einem halben Dutzend Herbste, aber dennoch auf imposante Weise suggestiv. Eine ganze Weile stand er ehrfurchtsvoll vor der Maschinerie, und in diesem Augenblick war er tatsächlich ein Archäologe, ein Schatzsucher, der den Tempel, den seltenen Fund, das Juwel entdeckt hatte, von dem er nicht gewagt hatte zu träumen. Er war baff. Das war die Quelle, der Born; von hier stammten all die Frühstücksflocken, die Goldnuggets, das viele Geld, die Automobile und Kutschen, die Bibliotheken, die Weinkeller und Billardtische – und all das wollte er, vor allem einen eigenen Billardtisch. Und auch eine Bibliothek. Nicht daß er je viel mehr als Groschenromane lesen würde, Nick Carter, Frank Reade, Big-Foot Wallace und so weiter, nein, er wollte sie nur besitzen, all diese ledergebundenen Bücher mit den vergoldeten Rücken, den Cognac in einer geschliffenen Karaffe, Otard Dupuy Jahrgang 78. So etwas hatten die Gentlemen, die Tycoons und Millionäre und Frühstückskostmagnaten – und er wettete seine Eckzähne darauf, daß C.W. Post alles hatte, Billardtische, eine Wohnung in London, Bibliotheken, Limousinen, Reitställe und tausend andere Dinge, die sich Charlie nicht einmal vorstellen konnte. Und das waren die Maschinen, die es möglich machten – die Bundesmünze in Washington hätte ihm nicht mehr Ehrfurcht abgenötigt.
    Und während er dastand, mitten im Unrat, zu den riesigen Öfen emporblickte und versuchte, sie sich in Betrieb auszumalen, wie sie, blankpoliert und neu, einen Schauer aus leckeren goldenen Flocken herunterrieseln ließen, rührte sich

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