Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
jemand von der Wohlfahrt?«
    Charlie wollte gerade vehement kontern, die Worte lagen ihm bereits auf der Zunge, als er aufsah und in das aufmerksame Gesicht des Türstehers starrte. Der Mann hatte eine selbstgefällige, überhebliche Miene aufgesetzt, als wüßte er bis auf den letzten Pfennig, was jeder, der das Post Tavern Hotel betrat, wert war, und er blickte Charlie in die Augen, als er sich in seiner adretten Uniform vorbeugte, um den Schlag der Droschke vor ihnen zu öffnen. Plötzlich war Charlie die Sache peinlich. Hier war er, der geschäftsführende Direktor der Per-Fo Company, und feilschte vor der Treppe des besten Hotels der Stadt um zehn Cent. Zehn Cent. Wo er doch tags zuvor diese Treppe hinaufgetänzelt war mit fast viertausend Dollar in der Tasche. Der Türsteher half einer Frau aus der Droschke und wandte sich dann Charlies Gefährt zu. »Können Sie wenigstens wechseln?« murmelte er, als er dem Kutscher eine goldene Zweieinhalb-Dollar-Münze gab. In diesem Augenblick schwang die Tür auf wie von selbst, und Charlie stieg aus und wollte sich aufrichten, um das Wechselgeld in Empfang zu nehmen und dem Türsteher steif und eisig zuzunicken.
    »Na, so was«, hörte er eine Stimme in seinem Rücken, »wenn das nicht Mr. Ossining ist?«
    Er machte keinen Satz, aber das war auch schon alles, was er tun konnte, um nicht zurückzuzucken, als er sich umdrehte, um in die spöttischen grünen Augen von Eleanor Lightbody zu sehen. Sie trug einen Pelzmantel – einen anderen als am Abend zuvor im Bahnhof –, und sie befand sich in Begleitung eines topfit wirkenden Mannes mit hellem Haar und einem Jungengesicht, eines Typs von der Art, der auch in mittleren Jahren und später noch aussieht, als ob er gerade bei einem Rennen als erster durchs Ziel gegangen wäre. Charlie versuchte, seine Haltung wiederzugewinnen. Hier steht ein potentieller Investor, sagte er sich, ganz zu schweigen von einer Frau, die ihm jedesmal, wenn er sie sah, mehr zu bieten schien.
    »Ah«, erwiderte er und bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall, der Frühstückskostmagnat, der in der Droscke von einer Besichtigung seines Reiches zurückkehrt, »Mrs. Lightbody – Eleanor –, habe die Ehre.« Er war sich des Türstehers an seiner Seite peinlich bewußt, und des Kutschers, der vornübergebeugt auf seinem Kutschbock saß und mit steifen, in Handschuhen steckenden Fingern in einer schmutzigen Börse kramte.
    Eleanor blickte ihn eine Weile fest an, die ganze Gruppe erstarrt wie auf einem Bild – Die Ankunft des Tycoon oder irgend so ein Blödsinn –, dann wandte sie sich zur Seite, um den jungen Athleten vorzustellen. »Mr. Ossining, darf ich Ihnen meinen Arzt vorstellen, Frank Linniman. Frank, Mr. Ossining.«
    Charlie schüttelte die Hand des Mannes mit festem Griff. »›Charlie‹ bitte«, sagte er. »Und Mrs. Lightbody«, er blickte zurück auf den unentwegt amüsiert lächelnden kleinen Mund und die spöttischen Augen – was war bloß so komisch? –, »ich hoffe, auch Sie werden mich ›Charlie‹ nennen. Und ich hoffe zudem, daß Sie nichts dagegen haben, wenn ich Sie ›Eleanor‹ nenne. Schließlich haben wir gemeinsam die Twentieth Century Limited überlebt, ganz zu schweigen von der Michigan Central Line.« Er stieß ein weltmännisches Lachen aus, als wären Bahnfahrten für ihn ein beständiges und unvermeidliches Ärgernis.
    »Ja, natürlich«, murmelte Eleanor, aber sie brach nicht, wie er gehofft hatte, in ein verschwörerisches Kichern aus. Statt dessen wandte sie sich ihrem Begleiter zu (wie Charlie nicht entging, hatte sie sich bei ihm untergehakt) und ließ ihre Stimme in einem koketten Trillern erklingen, »Mr. Ossining ist der Präsident einer Frühstückskostfirma, Frank –«
    »Ach ja?« Frank schien nicht sonderlich beeindruckt.
    In diesem Moment mischte sich der Kutscher in die Unterhaltung ein. »Hören Sie, Diamanten-Jim«, rief er, wischte sich die Nase an der Unterseite eines Ärmels ab und beugte sich vor, um die ganze Gruppe anzüglich anzugrinsen, »ich muß Ihnen Pennys und Fünf-Cent-Münzen geben, ich hab’ anscheinend kaum Vierteldollarmünzen –«
    Charlie winkte ab. »Behalten Sie’s«, sagte er. »Behalten Sie das Wechselgeld.«
    Der Mann konnte es nicht glauben. »Aber das sind –?«
    »Behalten Sie’s«, wiederholte Charlie.
    »Und wie nennt sich Ihre Firma, Mr. Ossining?« fragte Eleanor, nahm die Hand vom Arm des Doktors, um an ihren Hut zu greifen und ihn zurechtzurücken.

Weitere Kostenlose Bücher