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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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die Uhr, das Ritual, nach der Kette zu fassen, die Uhr aus der Tasche zu ziehen und zu öffnen, wurde zu einem Tick. Es war zwanzig nach, halb, zwanzig vor. Kein Bender. Nach einer Weile verkroch sich Charlie vor dem Wind in einer Ecke und wandte das Gesicht der fahlen, wolkengesprenkelten Sonne zu, als sie ihren kurzen Auftritt für diesen Tag absolvierte. Um halb eins gab er es auf und trottete zum Hotel zurück.
    Seine Stimmung war düster. Wenn er vorher Hoffnung geschöpft hatte und die Straßen ihm unberührt und heiter erschienen waren, dann war sein Herz jetzt Schlacke, und die Straßen waren öde und tot. Bender hatte ihn übers Ohr gehauen, dessen war er sich sicher. Er hatte Mrs. Hookstrattens Spargroschen genommen und war aus der Stadt verschwunden, und Charlie sollte die Sache ausbaden. Als er die Post Tavern erreichte, war er außer sich. Er drängte sich achtlos am Türsteher vorbei und stürmte auf die Rezeption zu, wo sich der Empfangschef geschäftig um ein Paar kümmerte, das eben dem Zug aus Chicago entstiegen war. »Wir hätten noch eine Suite im obersten Stock, wenn Ihnen das lieber ist«, sagte der Empfangschef. Die Frau stand geziert neben dem Mann und legte den Kopf schief wie ein Vogel auf dem Telegraphendraht, ein Lächeln, das besagte: Ich-bin-ja-so-glücklich-hierzu-sein, auf den Lippen. Der Portier, ein breitschultriger, in eine enge, mit Epauletten und Tressen versehene rote Wolluniform gezwängter Mann, stand hinter ihr, über das verstreute Gepäck des Paars gebeugt.
    Charlie drängte sich an der kleinen Gruppe vorbei und legte eine Hand auf den Empfangstisch. »Mr. Bender«, zischte er.
    Der Empfangschef sah ihn an, als wäre er ein Klumpen Mist, den er sich gerade vom Schuh gekratzt hatte. Er konnte die Verachtung in seiner Stimme kaum unterdrücken. »Einen Augenblick, bitte«, sagte er.
    Charlies Faust sauste hinab auf den Tisch wie ein Vorschlaghammer. »Zum Teufel«, würgte er hervor. »Ich will Bender sprechen. Holen Sie ihn auf der Stelle.«
    Die Halle war ein Gewebe aus Flüstern, das ganze königliche Bauwerk geriet angesichts der Detonation seiner Wut ins Wanken. Das Paar wich einen Schritt zurück. Niemand sah ihn an. Der Empfangschef verzog die Oberlippe, sein Blick brachte Betroffenheit zum Ausdruck; er wirkte wie ein Schuljunge, der zu Unrecht bestraft wird. Eine brutale Hochstimmung hatte Charlie erfaßt: Der arme Idiot sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Bender«, knurrte Charlie, sein Tonfall so hart wie ein Schlag ins Gesicht. »Sofort.«
    Aber er bekam Bender nicht zu Gesicht. Er sah auch nicht den Empfangschef nervös schluchzend zusammenbrechen oder das Paar händeringend in seiner ohnmächtigen Aufregung von einem Fuß auf den andern treten. Nein. Denn in diesem Moment spürte er, wie der Portier, ein früherer Ringer, seinen Nacken in einem Doppelnelson zu fassen bekam – es fühlte sich an, als würde er von einer riesigen Pinzette erfaßt –, und dann wurde er mit Hilfe des Türstehers durch die Halle, zur Tür hinaus und die Treppe hinunter geschleift, wo sie ihn kurzerhand zwischen die Pferdeäpfel auf die Straße fallen ließen. Die zwei Männer, Portier und Türsteher, beides Titanen, standen schweigend und mit verschränkten Armen über ihm und wünschten sich sehnlichst, er würde den Versuch unternehmen, zurück zur Treppe und ins Hotel zu gelangen, so daß sie ihn in die Gasse zerren und ihn sich dort so richtig vornehmen könnten. Charlie lag da mit verrenkter Schulter, ein stechender, pochender, glühender Schmerz machte sich in seinem Nacken bemerkbar, und er verfluchte sie stumm. Nach einer Weile trat der Türsteher einen Schritt vor und stieß ihm nachdenklich, nahezu liebevoll zweimal den Fuß in die Rippen.
    Charlie wollte einfach auf der Straße liegenbleiben; die Demütigung war tausendmal heftiger als jeder Schmerz, den sie ihm je hätten zufügen können. Aber Passanten beobachteten ihn, und er wußte, daß sich jeden Augenblick ein Polizist über ihn beugen könnte, und er wußte ebenfalls, mit wieviel Mitgefühl die Polizisten den angeblichen geschäftsführenden Direktor der Per-Fo Company wahrscheinlich behandeln würden, hätten sie erst einmal seine zerrissene Hose und die Flecken von Pferdescheiße auf seinem Mantel gesehen. Er zog den Bauch ein und stand auf, als wäre nichts geschehen – Himmel, war er etwa auf einem vereisten Fleck ausgerutscht? –, hob seinen Hut auf und humpelte so würdevoll, wie es

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