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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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»Setz dich, setz dich«, er wiederholte sich, sagte alles zweimal, und Charlie bemerkte, daß er unter der herzlichen Fassade aufgeregt war. »Nimm dir einen Stuhl, nimm dir einen Stuhl, setz dich, mein Junge, mein lieber – mein sehr lieber -Junge und Geschäftspartner.«
    Charlie wollte sich nicht setzen. Bender hatte ihm noch keine Antwort gegeben, und Charlie wollte seinen moralisch überlegenen Standpunkt nicht aufgeben. »Wo zum Teufel bist du gewesen?« wiederholte er. »Wir hatten doch eine Verabredung, oder etwa nicht? Um elf Uhr. Weißt du, daß ich eineinhalb Stunden bei dieser Ruine von einer Fabrik gewartet und mir alles abgefroren habe?«
    »Setz dich, Charlie, mach hier keine Szene«, zischte Bender, und er hatte wieder die Befehlsgewalt, seine Miene war heiter, gelassen, es war wieder die Maske, die er für gewöhnlich aufsetzte. Sie setzten sich. Bender schenkte Charlie ein Glas Bier ein. »Hast du schon gegessen?« fragte er. »Hast du Hunger?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich gewichtig auf seinem Stuhl um und beorderte den Kellner in dem sonoren, gebieterischen Ton zu sich, den er in der Öffentlichkeit gebrauchte, wie ein Shakespearescher Schwindler. Nachdem er sich wieder umgewandt hatte, zog er eine Zigarre aus der Brusttasche, schnitt die Spitze ab und lehnte sich vor, um sie an der Talgkerze anzuzünden, die auf einem Teller in der Mitte des Tisches stand.
    »Also?« wollte Charlie wissen. »Ich warte auf eine Erklärung. Hör zu, Goodloe, wenn wir Partner sein wollen, dann müssen wir jetzt ein paar Dinge klären, zum Beispiel –«
    Bender schnitt ihm das Wort ab. »Charlie, Charlie, Charlie«, gurrte er, er war stämmig und väterlich, und er brachte die ganze Autorität seines Alters, seiner Massigkeit und seiner legendären Erfolge (Ich war Millionär und zweimal vollkommen pleite, bevor ich dreißig war, hatte er Charlie zigmal erzählt) zum Einsatz. »Ich entschuldige mich ja. Um die Wahrheit zu sagen, ich hab’s vergessen.« Und an dieser Stelle hob er eine Hand, um jedem weiteren Protest zuvorzukommen. »Die Fabrik, das ist ein kleiner Fisch, Charlie. Es hat sich was ergeben. Und das ist zwanzig ausgebrannte Frühstückskostfabriken wert.«
    In diesem Augenblick kam der Kellner angeschlichen, servil, sich windend wie ein geprügelter Hund, ein auf seine arschkriecherische Essenz reduzierter Mann. »Ja, Mr. Bender?« säuselte er. Jeder in der Stadt schien Goodloe H. Bender, den einstigen und zukünftigen Tycoon, zu kennen. »Darf ich Ihnen noch etwas bringen?«
    Bender ließ ihn warten, während er die Zigarre aus der Spalte zwischen seinen bärtigen Lippen zog und eine Rauchwolke ausstieß, die nach Zuckerrohr, nach roten Jasminbäumen, nach dampfendem Tropenregen roch. »Aber ja doch. Bringen Sie diesem Herrn ein Delmonico-Steak, roh, mit Pilzen und Zwiebeln geschmort, dazu einen Teller Ihrer besten Pommes frites und Suppe und ein halbes Brathuhn. Er sieht ja aus, als hätte er nichts mehr gegessen, seit er vor zwei Tagen aus dem Zug gestiegen ist.«
    Der Kellner verschwand. Bender lehnte sich selbstzufrieden auf seinem Stuhl zurück wie ein Sultan, und der dichte blaue Tabaknebel umkränzte seinen Kopf wie eine Krone. Charlie spürte, wie ihm der Mut sank. Wie hatte er an diesem Mann nur zweifeln können? Bender war dazu geboren, die Welt zu regieren, von silbernen Tabletts zu essen und aus goldenen Kelchen zu trinken, daran bestand kein Zweifel. »Also, was gibt es? Was hat sich ergeben?« Obwohl er sich bemühte, konnte er seine Aufregung kaum verbergen.
    Das breite Lächeln, die selbstgefällige Pause. »Nichts weiter, als daß wir sechsmal schneller reich werden, als wir gestern noch dachten, das ist alles. Und noch was – wir werden unsere Firma umbenennen.«
    »Umbenennen?« Charlie griff unwillkürlich an die lederne Brieftasche mit den Visitenkarten in seiner Brusttasche – wie sehr er diese Karten liebte. »Aber warum denn?«
    »Nur eine kleine Veränderung, Charlie, keine große Affäre. Wir werden nur einen zweiten Namen hinzufügen, nichts weiter.« Wieder die Pause, die sich dramatisch in die Länge zog. Ganze Welten brachen zusammen, Schiffe gingen unter während der Zeit, die Bender brauchte, um die Asche von seiner Zigarre zu schnippen. »Bist du bereit? ›Kellogg’s Per-Fo Company, Incorporated‹, so wird die Firma heißen.«
    »Kellogg’s? Wovon sprichst du? Wir können doch nicht einfach –«
    Aber in diesem Augenblick schwang die

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