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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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ihm unter den gegebenen Umständen möglich war, die Straße entlang.
    Aber innerlich wütete er. Rache, das war alles, woran er denken konnte – er wollte diesem Affen von Portier nachts in einer Kneipe oder in einer dunklen Straße auflauern, die Adresse von dem Türsteher mit dem Nußknackergesicht herausfinden und ihn bei einem Teller Suppe überraschen, einfach die Tür einschlagen und ihn an seinem eigenen Küchentisch vermöbeln. Das war es, was er tun würde, und er war Manns genug dafür. Und Bender. Verflucht sollte er sein. Verflucht sollte der Tag sein, an dem er diesem elendigen Hurensohn zum erstenmal begegnet war. Er würde ihn aufschlitzen, das würde er tun, kaum wäre dieser Dreckskerl in Reichweite. Er tappte blindlings herum, brummelte vor sich hin, wußte nicht, wohin er ging, und es war ihm auch gleichgültig, die eine Straße hinauf, die andere hinunter, er ging, um die Wut in seinem Herzen zu besänftigen. Und die Verzweiflung. Per-Fo. Was für ein Witz. Bender war ein Hochstapler, sonst nichts, und er hatte Charlie wie einen Fisch am Angelhaken an Land gezogen. Und Mrs. Hookstratten; was sollte er nur Mrs. Hookstratten sagen?
    Als er endlich aufblickte, um sich zu orientieren, stellte er fest, daß er praktisch auf der Schwelle von Battle Creeks großartigstem Bauwerk gelandet war, vor dem Felsen, auf dem die ganze Stadt erbaut war: dem Sanatorium. Er stand auf der Straßenseite gegenüber, auf dem bevölkerten Gehsteig vor einer Ladenzeile, und die Solidität und Massivität des Sanatoriumsgebäudes brachten ihn wieder zu sich. Hierher kamen also die Eleanor Lightbodys dieser Welt, um ihre kleinen Wehwehchen und Zipperlein zu kurieren, das war die Geburtsstätte der Corn-flakes, hier waren Tausende von Spekulanten auf Gold gestoßen. Das Gebäude machte was her, na gut, das mußte er zugeben – und sie hatte recht gehabt, die Post Tavern hätte dreimal hineingepaßt.
    Er stand da, hing seinen Träumereien nach, von Ehrfurcht erfüllt, als ihn eine vertraute piepsende Stimme ansprach: »He.«
    Er drehte sich um zu Ernest O’Reilly, Benders bemitleidenswertem kleinem Botenjungen. »He«, erwiderte er, und es klang alles andere als lebhaft. »Was machst du hier, Ernest O’Reilly – solltest du nicht in der Schule sein?«
    Der Junge war winzig, verschrumpelt, erbärmlich, ein in einem Glas konservierter kleiner Homunkulus. Er zuckte die Achseln. Sah weg. »Nichts. Geschäfte, sonst nichts.«
    Geschäfte. Selbstverständlich. Charlie stürzte sich auf ihn. »Wo ist er?«
    Ernest O’Reilly war ein Sack Lumpen, leichter als Luft, hoffnungslos. »Sie tun mir weh«, sagte er mit seinem dünnen tremolierenden Flötenstimmchen, und kein Zorn schwang darin mit, kein Protest, nur eine traurige, lang geübte Resignation.
    »Bender«, sagte Charlie und hielt ihn noch fester. »Wo ist er?«
    Der Junge warf den Kopf zurück, um auf das Gebäude hinter sich hinzuweisen. Es war Charlie bestimmt, in den Monaten, die vor ihm lagen, mit diesem aufs intimste vertraut zu werden, aber der erste Anblick verhieß nichts Gutes. Er sah eine Markise, eine Fensterreihe, eine Tür. Und hinter den Fenstern Tische, Stühle, Menschen, die sich mit Messer und Gabel in der Hand über Teller beugten: ein Restaurant. Wie hundert andere auch. Das Schild über der Tür verkündete The Red Onion, und darunter befand sich auf einem scheunenroten Hintergrund, handgemalt in weißen Buchstaben, eine weitere Inschrift: Haben Sie genug von Kleie & Sprossen? Probieren Sie unsere berühmten Steaks & Koteletts mit Pommes frites & unser spezielles Detroit-Hamburger-Sandwich.
    Drinnen roch es unverkennbar nach Fett, schalem Bier, Schweiß, billigen Zigarren und dem die Magensäfte anregenden Ambrosia einpfündiger Steaks auf Zwiebelbetten. Bender saß allein an einem Tisch weit hinten, einen halbleeren Bierkrug und einen Teller mit den Überresten eines T-Bone-Steaks vor sich. »Bender«, brüllte Charlie und marschierte ein halbes Dutzend Schritte über den schwarzweiß gekachelten Boden, Gesichter blickten beunruhigt von Schnitzeln, Koteletts, Würsten, halben Hühnchen und Wiener Würstchen auf, und dann senkte er die Stimme zu einem geschmerzten Grollen, »wo zum Teufel bist du gewesen?«
    Bender erhob sich, brüllte eine Antwort, torkelte vom Stuhl hoch wie ein riesiger Seelöwe, der sich an einem kalifornischen Strand zum Kampf rüstet, rief wieder und wieder »Charles, mein Junge«, als würde er sich freuen, ihn zu sehen.

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