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Willkommen in Wellville

Willkommen in Wellville

Titel: Willkommen in Wellville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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Eingangstür auf, und herein kam der Mann, auf den Bender gewartet hatte. Er war sauber rasiert und hatte frisch geschnittenes Haar, und irgend jemand hatte den Überzieher mit den Flecken von Erbrochenem vergraben und ihn neu eingekleidet, aber Charlie erkannte ihn sofort wieder. Er torkelte ein bißchen, als er auf ihren Tisch zusteuerte, und Charlie, völlig verwirrt, folgte Benders Beispiel und stand auf, um ihn zu begrüßen. »Ah, George«, schnurrte Bender, als er die Hand des Mannes in seine fleischige Pranke nahm, »schön, daß du gekommen bist. Famos.« Dann wandte er sich an Charlie: »Darf ich dir meinen Partner vorstellen, den hochverehrten Mr. Charles P. Ossining.«
    Die verschwommenen Augen, die gelben Zahnstummel – und keine Spur von einem Wiedererkennen.
    »Charlie, lieber alter, guter alter, liebster alter Charlie«, frohlockte Bender. Rot im Gesicht und leutselig, legte er um jeden der beiden einen Arm, »Charlie, darf ich dir George Kellogg vorstellen?«

10.
EIN DANKBARER VOGEL
    Zwei Wochen vor Thanksgiving, diesem Festtag universellen Schlemmens, bemerkte Will eine kaum wahrnehmbare Veränderung in der Atmosphäre des Speisesaals. Es war während des Frühstücks – oder vielmehr während der Zeitspanne, die er am Tisch sitzend damit zubrachte, zu beobachten, wie Mrs. Tindermarsh schmatzend ihren Rote-Bete-Salat mit Rallenfleischstückchen verschlang und Hart-Jones vor seinen weichgekochten Eiern wie ein Esel schrie und Miss Muntz ordentliche kleine Bissen von ihrer Protosekeule, oder was immer es war, zum Mund führte. Er selbst aß nicht. Es war der zweite Tag der dreitägigen abführenden Diät, und er schluckte die gummiartigen Psylliumsamen und das pappeartige hijiki, als wären es Pillen; außerdem sprach er einem Glas Wasser zu. Auf jeden Fall wirkte das Ambiente im Speisesaal irgendwie anders, nahezu festlich, das Gemurmel der Unterhaltungen war lebhafter, das Gekicher und die Ausbrüche von Gelächter waren unbeschwerter und häufiger als sonst. Etwas war im Gange. Ein bißchen wund nach seinem frühmorgendlichen Gerangel mit Schwester Bloethal und ihrer Bewässerungsmaschine, nickte Will seinen Tischgenossen einen steifen Gruß zu, während er sich setzte und seine Serviette auf dem Schoß ausbreitete. Um die Speisekarte brauchte er sich nicht zu kümmern – kaum lag die Serviette auf ihrem Platz, als auch schon eine Diätassistentin mit einem Teller verschrumpelter dunkler Algen und bitterer Samen erschien, der so appetitanregend war wie eine Schüssel Sägespäne mit Wollfusseln. Professor Stepanovich bedachte ihn mit einem scheuen Blick des Mitgefühls und wandte sich dann wieder seinen Corn-flakes zu; die anderen, sogar Homer Praetz, der nicht zu Leichtfertigkeit neigte, lächelten angespannt, als ob sie sich nur mit knapper Not beherrschen könnten. »Was geht hier vor?« verlangte Will zu wissen, und er spürte, wie wider seinen Willen ein dümmliches Grinsen an sei nen Mundwinkeln zerrte. »Ist mir irgendwas entgangen?«
    Miss Muntz, seine bildhübsche grünliche Freundin, die die letzten drei Nachmittage eingewickelt neben ihm auf der Veranda gelegen hatte, stieß ein kurzes, dampforgelartig pfeifendes Lachen aus. Homer Praetz hob eine Hand vor den Mund und stimmte mit seiner durchdringenden Falsettstimme ein. »Haben Sie denn nicht bemerkt –?« setzte sie an und brach dann in ein tremolierend schulmädchenhaftes Gekicher aus.
    »Was sie sagen will, Mr. Lightbody«, fügte Mrs. Tindermarsh hinzu, und dann konnte auch sie sich nicht mehr beherrschen, »ist, daß der Speisesaal heute ein bißchen was von einem Bauernhof hat, finden Sie nicht?«
    »Der Bauernhof übernimmt die Heilanstalt!« krähte Hartjones, fuchtelte mit seinem Löffel herum, an dem noch Eidotter klebte, und entblößte seine stumpfen gelben Pferdezähne.
    So auf die Fährte gestoßen, blickte sich Will im Raum um. Er sah die übliche Horde essender Menschen, die Berühmten, die Reichen, die Dyspeptischen und Nervösen. Säulen ragten bis zur Decke auf, ein nicht abreißender Strom von Kellnerinnen bewegte sich durch die Gänge. Er sah Eleanors Tisch und mußte mit einem kleinen Stich der Beunruhigung feststellen, daß sie nicht da war – und Linniman auch nicht. Vielleicht hatte sie bereits gefrühstückt – oder verschlafen. Oder Dr. Kellogg hatte ihr eine frühmorgendliche Klistier-und-Gymnastik-Kur verordnet … aber wo war Linniman, der Grinser, das Muster an Gesundheit und der Hypnotiseur

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