Willkommen in Wellville

irgendeiner anderen privaten Enklave. In der Schule konnte er den Gemeinschaftsbädern natürlich nicht entkommen, und während der acht Jahre auf der Crowley Preparatory School für Jungen in New Milford, Connecticut, war Will einer von vielen in einer Menge nackter Jungen gewesen. Aber es hatte ihm nicht gefallen. Und er ging nicht mehr zur Schule. Und es widerstrebte ihm, sich in Gegenwart von Fremden auszuziehen – oder den Anblick von Fremden zu ertragen, die sich in seiner Gegenwart auszogen oder in der Öffentlichkeit mit weniger bekleidet auftraten, als es sich für einen Abend bei Sherry’s oder Delmonico’s geziemte.
    Aber die Elektrische Abteilung überraschte ihn. Kein Anzeichen des Mobs bärtiger, behaarter Typen im Lendenschurz, auf den er einen kurzen, entsetzten Blick geworfen hatte, als Ralph ihn durchs Haus geführt und die Tür zum Männerschwimmbad aufgestoßen hatte. Auch lungerten keinerlei nachlässig gekleidete Fremde, weder Männer noch Frauen, herum. Der Therapeut, wie jeder andere in Anzug, Hemd, Kragen und Krawatte, führte ihn in eine Einzelkabine, bat ihn, das Hemd auszuziehen und sich flach unter ein frisches weißes Laken auf einen gepolsterten Tisch zu legen. Der Heiße Handschuh, der seine unteren Rückenmuskeln (und, wenn er sich umdrehte, seinen arg in Mitleidenschaft gezogenen Bauch) anregen sollte, tat wirklich gut. Die Schocks, die er verabreichte, waren minimal, die Wärme wirkte beruhigend. Anschließend wurde ihm bedeutet, sich bis aufs Jackett wieder anzuziehen und Hemdsärmel und Hosenbeine hochzukrempeln, so daß er Unterarme und Waden in die erhöht angebrachten Eimer eintauchen konnte, die das Sinusbad darstellten.
    Er kam den Anordnungen widerspruchslos nach. Und die Angelegenheit wäre zumindest erträglich gewesen, hätte nicht ein zweiter Patient neben Will gesessen, nicht gerade ein Fremder, aber ein Mann, mit dem Will so wenig gesprochen hatte, daß er praktisch ein Unbekannter war: Homer Praetz. Sie saßen nebeneinander, Will und der Industriegigant, auf identischen Stühlen, die mit vier galvanisierten Eimern und den elektrischen Drähten, die für die heilende Ladung sorgten, versehen waren. Homer Praetz kam offensichtlich gerade aus dem Schwimmbad oder einem der vulgären Badezimmer, denn sein Haar war naß und er trug einen riesigen blauen Baumwollbademantel. »Lightbody, nicht wahr?« rief er und schüttelte Wills Hand mit feuchtem, schlaffem Griff. »Ihnen wurde wohl auch das gute alte Sinusbad verordnet, was?« Und dann senkte er die Stimme: »Kann nicht gerade behaupten, daß es mir besonderen Spaß macht. Fühlt sich an, als ob mir Ameisen die Beine rauf und runter krabbeln. Und über die Geschlechtsteile, das ist es, was mich schier umbringt. Tut auch ein bißchen weh – nicht sehr, aber doch so, daß man ab und zu zusammenzuckt.«
    Er stieß einen Seufzer aus, warf den Bademantel ab und enthüllte einen wild gerunzelten, mit schwarzen, gelockten Haaren behangenen Bauch, und dann stolzierte er im Lendenschurz zwei-, dreimal durch den Raum, als ob er erst einmal mit seiner Leibesfülle so richtig angeben wollte, bevor er sich auf dem Stuhl neben Will niederließ. Beiläufig, als ließe er ein Hemd in einen Waschbottich fallen, hob er zuerst den einen klotzigen, blassen, wie abgestorben aussehenden Fuß in das ihm zugedachte Behältnis und dann den anderen. »Was tut man nicht alles, um kuriert zu werden, was?« flüsterte er und blinzelte Will dabei an.
    Aber Will kam nicht dazu, ihm zu antworten. Er spürte es in diesem Augenblick: der Assistent in seinem tadellosen dunklen Anzug legte den Schalter um, der große, vom Boss erdachte Generator begann, irgendwo in den Tiefen des Gebäudes zu brummen, und diese winzigkleinen Elektroschocks knabberten an ihm, bissen ihn, zwickten ihn, kneteten ihn, und es fühlte sich überhaupt nicht wie Ameisen an – nein, dachte Will und schloß die Augen angesichts der ganzen seltsamen Angelegenheit, es fühlte sich an wie Fische, eine hungrige Fischschule, Fische in einem Teich, die an jedem einzelnen seiner kurzen, verkümmerten Härchen pickten, die ganze Länge seiner müden Beine hinauf und hinunter, bis er meinte, bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden.
     
    Für den Samstag, den Tag von Wills Erlösung von der abführenden Diät, hatte der Boss ein formelles »Bankett für Neuankömmlinge« organisiert, eine regelmäßige Veranstaltung der Abteilung für soziale Angelegenheiten, dazu gedacht, die