Willkür
treiben sich Typen rum, die stehen ganz oben auf eurer Liste, und ihr vergeigt eure Zeit mit mir.«
Damit war Wyatt gemeint. Eileen sah ihren Mann an und bemerkte dessen eisige, drohende Miene. Ross war kein Schwein, nie würde er jemanden an die Cops verraten. Eine Regel, die auch die Familie zu respektieren hatte.
Doch Napper hatte Niall überhaupt nicht zugehört. »Ist schwer zu verkraften für dich, wenn jemand die Oberhand gewinnt, stimmt’s, Kumpel? Dann knickst du ein, legst dich auf den Rücken und lässt alles mit dir machen. Ist doch so, oder, Bürschchen?«
Eileen sah, wie ihr Sohn rot wurde. »Bleib ruhig, Junge«, warnte sie ihn.
Niall ignorierte das. »Verdammt noch mal, das reicht, Napper. Ich will einen Anwalt.«
»Einen Anwalt?«, wiederholte Napper amüsiert und legte sich schon eine passende Antwort zurecht. Eileen war darauf gefasst, einschreiten zu müssen, doch im selben Moment kamen die beiden Polizisten zurück in die Küche und retteten Niall vor seiner scharfen Zunge. Einer der jungen Constables trug die Armbrust. Unter hochgezogenen Augenbrauen warf Eileen Rossiter einen Blick zu; ihre Art, »Nun mach was!«, zu sagen.
»Zugegeben, der Junge ist eben ein Hitzkopf«, setzte Rossiter an, »aber er hat niemand was getan. Lasst ihn gehen. Ich rede mit dem Typen von nebenan, werd ’n Bier mit ihm trinken und die Sache aus der Welt schaffen. Niall wird sich bei ihm entschuldigen, nicht wahr, Junge?«
Niemand beachtete ihn. Napper postierte sich hinter Nialls Stuhl und legte ihm beide Hände auf die Schultern. »Niall Rossiter, ich nehme Sie fest wegen Verdachts auf tätliche Bedrohung und wegen Besitzes einer gefährlichen Waffe. Sie werden zum Revier verbracht, dort wird formell Anklage erhoben und dann werden Sie dem Haftrichter vorgeführt.«
Niall wurde über seine Rechte belehrt, einer der Constables legte ihm Handschellen an und führte ihn dann ab. Eileens Herz formte sich zu einem Klumpen. Bis sie ihren Sohn wieder sah, konnten gut zwei Tage vergehen. Napper würde dafür sorgen, dass er in Untersuchungshaft blieb und nicht auf Kaution freikam. Das würde ihm den Rest geben. Niall besaß nicht die Stärke seines Vaters oder die Härte eines Wyatt. Die sechs Monate in Pentridge hatten aus ihm einen verschlagenen, bösartigen Typen gemacht, wenn das meiste auch nur aufgesetzt war. Dieses permanente Zucken mit dem Kopf und den Schultern, das Flackern in seinen Augen — es brach ihr das Herz. Sie hasste es, das mit ansehen zu müssen; kaum auszudenken, was eine erneute Haftstrafe für Niall bedeuten würde.
ZEHN
Es zog sich hin; doch dank der ihm eigenen Ruhe und Erfahrung konnte Napper den Richter irgendwann davon überzeugen, dass Niall Rossiter ein Sicherheitsrisiko darstellte. Nichts anderes hatte er erwartet. Untersuchungshaft. Napper war überaus zufrieden mit sich.
Auf dem Rückweg schaute er kurz bei Tina vorbei. Sie reagierte nicht auf sein Klingeln, also öffnete er die Tür mit seinem Schlüssel und schob seine beiden Kollegen in die Küche. Bier war im Kühlschrank. In aller Ruhe tranken sie jeder eine Dose und gingen zurück zum Streifenwagen. In dieser schmalen Straße, zwischen all den unscheinbaren Hondas und Corollas, verfehlte der seine Wirkung nicht. Kühl, weiß, mit drohenden schwarzen Ziffern und Unheil verkündenden blauen und roten Signalleuchten auf dem Dach — die Anwohner, zumeist Lehrer, Anwälte, Studenten, Vegetarier, konnte man damit mächtig einschüchtern. Napper quetschte sich hinter das Lenkrad und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
Sein Schreibtisch auf dem Revier stand inmitten anderer, identischer Schreibtische in einem voll gestopften Büro. Die Kollegen, mit denen er den Raum teilen musste, hatten sich in die hintere Ecke, vor die Milchglasfenster verzogen und brüllten vor Lachen. Ein Sergeant in Zivil rief ihm zu: »Hey, Nap, das musst du dir ansehen!«
Napper ging hinüber zu ihnen. Auf einer Bank lagen mehrere Fotos. Ein junger Weißer, nackt in einem Sessel, mit der rechten Hand umschloss er seinen Penis, die linke lag leicht verdreht auf einem aufgeschlagenen Pornoheft. Sein Gesicht war verzerrt, angeschwollen durch den Druck des Nylonseils um seinen Hals, das an einem Haken weiter oben an der Wand endete. Der zerwühlte Kelim unter seinen Fersen wies auf einen heftigen Todeskampf hin. Napper betrachtete die Bilder eingehend und sah dann hoch in die erwartungsvoll grinsenden Gesichter seiner Kollegen. Er würde sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher