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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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enttäuschen. »Ist er gekommen?«
    Der Sergeant in Zivil schlug ihm auf den Rücken. »Hat sich stranguliert, bevor er abspritzen konnte.«
    Allgemeine Häme, dann widmete man sich wieder den Fotos. »Die Eltern haben das arme Schwein gefunden«, sagte der Sergeant. »Wir sollen jetzt den Mörder ihres Sohnes finden.«
    Napper schüttelte den Kopf und ging zum Schreibtisch. Unglaublich, wie naiv Eltern sein konnten. Er hatte gerade eine Akte aufgeschlagen, als sein Telefon läutete. Sein Anwalt mit Neuigkeiten, die Napper die Stimmung verdarben. Der Tag war gelaufen. »Was soll das heißen, es ist ihr Recht?«
    »Das was ich eben gesagt habe«, erwiderte der Anwalt. »Laut Gesetz haben sie das Zugriffsrecht auf Steuererstattungen, um so an ausstehende Unterhaltszahlungen zu gelangen.«
    »Wie? Das müssen Sie mir erklären.« Er schickte einen wütenden, verbitterten Blick durch die Leitung.
    »Das Jugendamt darf über das Finanzamt Steuererstattungen einziehen.«
    »Saubande.« Ungehalten starrte er auf das Bild der Queen an der Wand. Es war übersät mit Fliegendreck. Bei den Royals lief auch nicht mehr alles rund, nur dass man sie nicht zur Ader ließ wie ihn. »Ich liebe meine Kleine«, sagte er in den Hörer. »Ich würde ihr nie etwas vorenthalten. Bin einfach nur spät drangewesen.«
    »Ich habe Ihnen doch erklärt, was passieren kann, Nap. Nächstes Mal werden die noch wesentlich unangenehmer auftreten. Es hat Fälle gegeben, bei denen das Jugendamt per gerichtlicher Anordnung den Verkauf von Immobilien erwirkt hat, um fällige Unterhaltszahlungen einzutreiben. Man kann Sie zwingen, Ihr Haus zu verkaufen, Ihren Wagen ... «
    »Saubande«, wiederholte Napper, um im barschen Ton fortzufahren: »Hören Sie, ich hab ihr letztens erst fünfhundert Dollar überwiesen.«
    »Aber das wird denen nicht reichen. Schließlich schulden Sie ihr neuntausend.«
    »Woher soll ich’s nehmen? So viel verdiene ich nicht. Meine Güte, ich fahre einen fünfzehn Jahre alten Holden! Strengen Sie sich an. Legen Sie denen ein paar Zahlen vor.«
    Der Anwalt blieb skeptisch. »Ich werde tun, was in meiner Macht steht. Aber Zahlen kann man nicht unendlich strapazieren. Ich sag’s noch mal, sie haben starke Verbündete. Als Nächstes könnten sie Ihnen das Girokonto sperren. Erst neulich musste jemand bei Gericht die Abrechnungen seiner Visa Card offen legen. Es hat sich herausgestellt, dass er sich und seinem Schwanz zweimal die Woche einen Besuch im Puff gönnt, beim Jugendamt aber auf die Tränendrüse drückt, wenn es um seine Finanzen geht.«
    Das erbärmliche Dasein anderer unterhaltspflichtiger Väter interessierte Napper nicht im Geringsten. »Tun Sie Ihr Möglichstes«, sagte er und hängte auf.
    Während der nächsten zehn Minuten starrte er auf seinen Aktenberg. Um halb vier ging er in die Garderobe, tauschte seine Arbeitskluft gegen helle Stretchjeans und Flanellhemd und meldete sich ab. Zwei seiner Kollegen mussten seinen Holden anschieben und gegen viertel vor vier stand er in einer Seitenstraße in Fitzroy, einen Feldstecher in den Händen. Da war sie, sein kleines Mädchen, am Rand eines Schwimmbeckens, acht Jahre alt, eine richtige Wasserratte in einem roten ›Speedo‹: Rein ins Wasser, raus aus dem Wasser; mal landete sie auf dem Bauch, mal auf dem Rücken, fröhlich und unermüdlich, so wie die anderen kleinen Frösche um sie herum. Napper spürte einen Kloß im Hals.
    Er setzte das Fernglas ab und Roxanne wurde ein kleiner rot leuchtender Punkt in der Landschaft, einer eingezäunten Grünanlage mit Sonnenhungrigen auf den Rasenflächen, einem Kinderbecken und dem normalen Schwimmbecken dahinter. Seine Exfrau brachte Roxanne jeden Nachmittag hierher. Napper hatte nicht lange gebraucht, um das herauszufinden. Wer sollte ihm verbieten, hin und wieder einen Blick auf sein eigen Fleisch und Blut zu werfen? Er hob den Feldstecher erneut und ein Schrecken durchfuhr ihn. Roxie hatte sich wehgetan. Mit gesenktem Kopf stand sie da, umgeben von ihren kleinen Kameraden, und alle Aufmerksamkeit war nun auf ihr rechtes Knie gerichtet. Doch von einer Minute zur anderen strahlte sie wieder und alles war in Ordnung.
    Er lehnte sich in seinem Sitz nach hinten und leerte eine Dose Foster’s. Es kam ihm so vor, als sei der Innenraum des Holden der heißeste Platz in Melbourne — die erbarmungslose Sonne hinter der Windschutzscheibe und die Wärme der Auspuffanlage, die durch die offenen Roststellen im Boden zu ihm hineindrang.

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