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Willkür

Willkür

Titel: Willkür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Disher
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Draußen, auf der Alexander Parade, staute sich der Verkehr in Richtung Schnellstraße. Erst vier Uhr nachmittags und doch hatten die Dreckskerle bereits Feierabend. Nicht zum ersten Mal schoss es Napper durch den Kopf, wie sehr das Land verlotterte.
    Und ob was faul war in einem Staate, in dem es einer Frau möglich war, ihrem Exmann finanziell das Mark aus den Knochen zu saugen, wohingegen ihm nicht mal gestattet wurde, sein Kind zu sehen. Napper schloss die Augen, um die Erinnerungen daran auszublenden, wie sie und ihr Anwalt ihn vor dem Familiengericht mit Dreck beworfen hatten. Was würde er darum geben, alles stehen und liegen lassen zu können, um sich für den Rest seines Lebens irgendwo in Europa herumzutreiben. Er sah es buchstäblich vor sich: herrliche Strände, das spiegelglatte Meer, heiße Luder oben ohne, die italienisch oder französisch zwitscherten, eiskalte Longdrinks unter Cinzano-Schirmen. Es gab da nur ein Problem: Dafür brauchte man Kohle, die er nicht hatte. Was ihm zur Verfügung stand, reichte nicht mal mehr für die Markenklamotten, die zu tragen Roxanne inzwischen gewöhnt war. Dank ihrer Mutter.
    Er hob das Fernglas für einen letzten Blick auf seine Tochter. Ihre Schulterblätter, der drollige, rundliche Bauch, die langen Beine — Himmel, er konnte es nahezu spüren, wie sich ihr weicher Körper unter seinen Umarmungen verschämt wand.
    Viertel nach vier. Die Kinder verschwanden in der Umkleidekabine.
    Napper beugte sich nach vorn, drehte den Zündschlüssel und lauschte, ob noch Leben in der Batterie war, als plötzlich mehrere Frauen seinen Holden umstellten und mit feuchten Handtüchern auf das mitgenommene Vehikel einschlugen. Napper konnte es nicht fassen. Er quälte sich hinter dem Lenkrad hervor und stieg aus. »Was zum Teufel geht hier vor?«
    »Perverses Schwein«, schrie eine Frau. Seine Exfrau war die Anführerin und hatte die anderen Mütter aufgehetzt. »Per-ver-se Sau, per-ver-se Sau«, skandierten sie und klatschten dabei die Handtücher gegen den Wagen. Napper hob seine Pranke. »Haut ab oder ich lass euch einsperren, so schnell, dass euch Hören und Sehen vergeht.«
    »Oh, ein wichtiger Mann«, raunten die Frauen und fielen dabei in einen heiseren Bariton.
    »Mensch, Josie, sei doch vernünftig!«
    »Zahl deinen Unterhalt, dann bin ich auch vernünftig«, erwiderte seine Exfrau.
    »Ja, gib’s ihm!«, riefen die anderen und zogen sich langsam zurück, gespannt, was er als Nächstes zu tun gedachte. Auf keinen Fall gedachte er, sich die Blamage einer streikenden Batterie zu bereiten. Er ließ sie alle stehen und ging zur Tankstelle an der Ecke.

    ELF

    Am selben Nachmittag stand Wyatt am Fenster des ersten Stocks eines Antiquariats und observierte geduldig das London Hotel auf der gegenüberliegenden Seite. Gegen viertel vor vier verließ er seinen Posten und überquerte die Straße. Zierbäume in großen Terrakottatöpfen flankierten die Eingangstür zum Hotel; einen davon nutzte er als Deckung und konnte so unbemerkt die Lobby und die Rezeption überblicken. Der Portier telefonierte. Die Uniform schien zu groß für diesen dürren Körper und der angespannte Gesichtsausdruck zeugte ebenso von Nervosität wie die linke Hand, die unablässig an den Krawattenknoten griff. Die Lobby war menschenleer. Wyatt überlegte, wie er es am besten anstellte. Ginge er jetzt hinein, würde der Mann ihn sehen und ihm hinterherlaufen. Zweifellos existierten Seiten- und Hintereingänge, aber die musste man erst einmal finden, und das kostete Zeit.
    In diesem Moment fuhren zwei Taxis vor. Mehrere junge Frauen stiegen aus. Alle trugen Anzüge mit wattierten Schultern und hatten weiße Konferenzmappen im Arm. Er trat einen Schritt zurück und beobachtete, wie sie die Lobby betraten. Die eine oder andere hatte ihm einen viel sagenden Blick zugeworfen, als seien sie trunken von dem hektischen Tag und an dessen Ende noch bereit für ein Abenteuer.
    Wyatt verfolgte, wie sie sich an der Rezeption ihre Zimmerschlüssel geben ließen. Er nutzte diese Gelegenheit und betrat ebenfalls das Hotel. Während die Frauen an der Rezeption noch aufgeregt durcheinander plapperten, widmete sich Wyatt scheinbar intensiv einem Drehgestell mit Prospekten über die Sehenswürdigkeiten Melbournes. Nachdem die Frauen verschwunden waren, trat er an die Rezeption und öffnete seinen Blouson.
    Der Blick des Portiers fiel auf die .38er. Der Mann schloss die Augen und versuchte, Haltung zu bewahren. »Ist alles zu

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