Willkür
verrosteten Vordächer ums Überleben kämpften. Die Häuserreihen waren durch eine schmale Gasse getrennt und da stand der Laser. Jetzt stieg jemand aus und wollte sich Wyatt in den Weg stellen — die Frau, die nicht nur gestern Nacht, sondern bereits vor zehn Monaten versucht hatte, ihn umzubringen. Neben dem Wagen hatte eine vierte Person Position bezogen, ein Mann von der Statur eines Gewichthebers. Dem Äußeren nach zu urteilen, musste er aus Melanesien stammen, und Wyatt sah, wie er zuerst mit der flachen Hand über seinen schwarz glänzenden Bürstenschnitt fuhr, um danach leicht in die Hocke zu gehen und abzuwarten, wie Wyatt reagieren würde.
Der blieb stehen, suchte nach einem Ausweg und fand keinen. Die Männer hielten von ihm Abstand, doch die Frau stellte ein echtes Problem dar. Wäre ihr Haar länger gewesen, die Kleidung legerer, hätte er etwas zum Zupacken gehabt, etwas, an dem er hätte zerren oder ziehen können. Ihr Haar aber war stoppelkurz, Jeans und T-Shirt saßen wie eine zweite Haut, noch dazu trug sie schwarze Lederhandschuhe. Da war nur ihr Körper, durchtrainiert, biegsam wie eine Sprungfeder, der und die kleine Pistole, die sie ihm jetzt auf ihrer Handfläche präsentierte; eine chromblitzende Automatik auf einem Untergrund aus schwarzem Nappa. Mit dem Kopf deutete sie auf die Gasse, was so viel hieß wie: Hier entlang, Mister.
Wyatt ging einige Meter in die Gasse hinein und blieb stehen. Er drehte sich um. Die Frau war ihm gefolgt und blieb ebenfalls stehen. Die anderen hingegen schienen auf dem Gehweg kleben zu bleiben. Schweigend starrte sie ihn an und wedelte mit der Waffe. Wyatt verstand, drehte sich wieder um und ging weiter. Er hörte ihre leichten, nahezu körperlosen Schritte, als sie sich ihm näherte. Sollte das hier ein Auftragsmord werden, würde er wortlos verübt, keine Diskussion, keine Erklärungen. Wyatt blieb wieder stehen. Die Gasse war eng und feucht, stank nach Urin und dem Abfall, den herrenlose Katzen überall verstreut hatten. Hinter ihm sickerte nur fahles Licht von der Straße hinein und vor ihm stand eine Mauer.
Mit dem, was jetzt geschah, hatten die vier nicht gerechnet. Er wirbelte herum, er fing an zu schreien.
Gleichzeitig bewegte er sich im Zickzackkurs auf die Frau zu, ließ sich dabei rechts und links von den Mauern abprallen. Sie folgte seinen Bewegungen mit der Waffe, versuchte, ihn ins Visier zu nehmen, hatte jedoch nicht mehr die Zeit, auf ihn zu zielen und abzudrücken. Eine Sekunde später. Wyatt befand sich jetzt auf gleicher Höhe mit ihr und zog ihr die Schlüssel, die immer noch wie Stacheln zwischen seinen Fingern steckten, über das Gesicht. Zwei Sekunden später. Blut lief in ihre Augen. Sie schrie auf, gehorchte dem ersten Impuls und riss schützend die Hände hoch. Wyatt holte aus, nahm ihr mit seiner Faust den Atem und sie ging zu Boden.
Drei Sekunden später. Die Männer griffen nach ihren Pistolen. Wyatt hatte sie überrumpelt. Vier gegen einen, eine Kleinigkeit — hatten sie zumindest gedacht. Jetzt standen sie vor der schwierigen Entscheidung, entweder auf Wyatt zu schießen oder ihn nur in Schach zu halten, oder sich um die Frau zu kümmern. »Scheißkerl«, sagte der eine, dann liefen sie auf ihn zu.
Leicht geduckt und schreiend rannte Wyatt direkt auf die Mündungen ihrer Waffen zu. Sie zielten, doch er lief Slalom. Wie zuvor die Frau folgten sie mit ihren Waffen seinen Bewegungen. Nur konnten sie nicht abdrücken, ohne die in ihrer Schusslinie liegende Frau zu gefährden; in dieser engen Gasse würden Querschläger wie Hornissen umherfliegen.
Fünf Sekunden später. Wyatt rammte den Gewichtheber mit der Schulter, der kam ins Straucheln, ließ seine Waffe fallen und ging zu Boden. Blitzschnell schnappte Wyatt sich die Waffe, eine 9mm, und zielte auf die beiden anderen Männer. Völlig geschockt von dem, was sich hier soeben abgespielt hatte, wichen sie Schritt für Schritt zurück, um schließlich in Panik die Flucht zu ergreifen. Sieben Sekunden später.
An der Einmündung zur Gasse hatten ein kleiner Junge und eine ältere Frau alles beobachtet. Der Junge fing an zu weinen, die Frau schnappte nach Luft, beide standen da wie angewurzelt. Wyatt ging an ihnen vorbei, hinüber auf die andere Straßenseite. Ihre erstaunten Blicke folgten ihm, dann wanderten sie zu der Frau, die immer noch am Boden lag.
Er marschierte in Richtung Innenstadt und bog dann in die Elizabeth Street ein. Von dort konnte er mit der Straßenbahn
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