Willküra (German Edition)
durch die Willkürherrschaftliche Prüfung. Und jede existierende Ratgeber-Literatur soll aus den Buchhandlungen verschwinden.«
»Jetzt sofort?«
»Jawohl, jetzt sofort!«, sagte der Willkürherrscher laut und ungeduldig, dass seine Willkürliche Botschaft immer noch nicht in die Tat umgesetzt war.
»Möchten Sie eine Visualisierung des Vorgangs?«
»Nein, danke. Ich verlasse mich darauf, dass es einwandfrei umgesetzt wird. Die Visualisierung dauert mir immer zu lang. Wenn du es schaffst, es unter fünf Sekunden darzustellen, dann will ich es von mir aus mal sehen.«
»Zurzeit dauert es acht Sekunden.«
»Eben.«
Ein nicht wahrnehmbarer Schall ging durch das Land.
»Auftrag ist nun durchgeführt. Alle Ratgeber-Literatur ist aus den Buchhandlungen eliminiert.«
9
Gerolat war außer Atem. Er war dreiviertel der Strecke in die Stadt schnell herunter gerannt. Das war er nicht gewohnt. Sein Herz schlug wild und am Gaumensegel schmeckte es nach Blut.
Ich sollte mich kurz ausruhen!, dachte er zu seinem Wohle und blieb stehen.
Schnellentspannung traditionell bitte!, dachte er konzentriert und drückte sein Ohrläppchen dabei.
Eine sanfte, ruhige, positive Stimme sprach in Gerolats Ohr.
Atem kontrollieren. Tief einatmen, tief ausatmen. Augen zu und weiter tief einatmen, tief ausatmen. An etwas Schönes denken. Positive Gedanken mit dem Atem strömen lassen. Mit jedem Atemzug kommen diese positiven Gedanken immer tiefer in jede einzelne Körperzelle. Tief einatmen, tief ausatmen. Die Schulter hochziehen, anspannen und fallen lassen. Ja. So entspannt stehen bleiben und weiter tief einatmen und tief ausatmen.
Gerolat hatte sich selbst auch einmal für die Stelle des ‚Sprechers von Texten mit positiven Inhalten‘ beworben, doch Fürchtedich IX. hatte ihn beiseite genommen und ihm versichert, dass er für Größeres gemacht war.
»Ich höre, du willst Sprecher werden, Gerolat? Das wäre reine Verschwendung, Gerolat! Sprecher sind doch nur ausführende Organe, Gerolat. Du wirst aber einmal ein Entscheider sein, Gerolat. Wenn du mich fragst, sehe ich dich eines Tages gar in meiner Nachfolge, Gerolat. Auf dem Thron des Willkürherrschers, Gerolat!«
Daraufhin war er sogar befördert worden zum Stabschef der Ein- und Ausgangs-Überwachung. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, zu der die Erstellung von Wachplänen gehörte, ebenso wie das Team zu motivieren und zu führen, eigenverantwortliche Budgetplanung, Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse erarbeiten und im engen Kontakt mit der Willkürherrschaftlichen Stabsleitung eigenständig Strategien entwickeln.
Er war damals der jüngste Stabschef gewesen, den es je in der Ein- und Ausgangs-Überwachung gegeben hatte und da das eine sehr gute Stelle für einen weiteren, steilen Karriereweg war, hatte Gerolat sich auf die weitere Zukunft gefreut.
Mit Aufnahme seiner neuen Tätigkeit hatte er sofort neue Uniformen entwerfen lassen. Er erfand in enger Absprache mit der Stabsleitung einen neuen Schnitt und ein neues Farbdesign. Alles etwas jünger, frecher, ansprechender. Die neuen Farben sollten auch als Vorlage dienen für die bald ebenfalls neuen Fahnen, Briefköpfe, Informationsfelder, und was sonst noch alles im Lande die Willkürherrschaftlichen Farben trug. Der farbliche Neustart zur Verbesserung der staatsinternen Außenwirkung war ein komplexer, wichtiger Vorgang, der die Willkürherrschaft als Marke nach vorne bringen und eingängig machen sollte. Alle waren begeistert.
»Wir könnten noch ganz viele andere Dinge tun!«, hatte ein sehr junger Mann aus dem Wachpersonal vorgeschlagen. »In Sachen Kommunikation zum Beispiel könnten wir in kurzen Abständen die Menschen darüber informieren, was wir hier gerade tun. Es würden ja Kurzmeldungen reichen. Das macht uns sympathisch und transparent.«
Gerolat mochte den Vorwitz dieses jungen Wachmanns nicht. »Und an was hast du dabei gedacht? An so was wie: Wir sind jetzt alle Mittag essen?«
Gerolat wollte sich gerade wegdrehen, da sprach der junge Wachmann schon wieder.
»Nein, es muss persönlich, lustig, informativ und möglichst pointiert sein. So was wie: Heute Abend Konzert am Willkürherrschaftlichen Sitz. Werde keinen rein lassen, der keine Einladung hat.«
Der Wachmann lächelte stolz.
»Kommunikation, einfältiger junger Mann«, hatte Gerolat den Burschen schnell zurechtgewiesen, »ist Aufgabe der Abteilung Kommunikation. Wenn du lieber redest statt rumzustehen, dann solltest du heute
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