Willküra (German Edition)
um.
Traditionelle Schnellentspannung wird abgebrochen. Ausführung nicht möglich. Die schnelle Ursachenanalyse ergibt folgendes Ergebnisprotokoll: NegEm liegt konstant über 120. Bitte wenden Sie sich sofort an einen Arzt. Dr. Triddl, vier Häuser nordwestlich von Ihrem jetzigen Standort, ist nun informiert und wartet auf Sie. Die Wegbeschreibung können Sie jederzeit abrufen. Ihre Konstitution wird in zwei Stunden durch eine weitere Entspannungsübung überprüft. Halten Sie sich bereit und bleiben Sie bis dahin nüchtern.
10
Amanus konnte ihr Glück kaum fassen. Und wie absurd sie es jetzt fand, dass ihr Cousin Gerolat sie all die Jahre vor dem Willkürherrscher versteckt gehalten hatte. Gestern noch hatte sie geglaubt, dass der Willkürherrscher ein schrecklicher, wütender Mann sei, der schier ausrasten würde, wenn er erführe, dass sie bei Gerolat wohnte.
Und dann hatte er plötzlich vor ihr gestanden. All ihren Mut hatte sie zusammengefasst, ihre Knie hatten gezittert, auch ihre Stimme, ihre Hände waren feucht geworden, ihr Gesicht rot und dann hatte Gerolat sie auch noch zu sich gewunken.
Welch Angst sie hatte, vorzukommen!
Drei Mal hatte sie unauffällig ihren Schweiß von der Hand in ihr Kleid gerieben.
»Er wird wegen allem wild. Fuchsteufelswild. Es kann irgendeine Kleinigkeit sein. Weil ihm gerade die Farbe deiner Schuhe nicht gefällt, oder weil ihm dein Deo nicht passt. Er ist einfach ein Willkürherrscher, Amanus, die sind so. So müssen sie auch sein.«
Diese Worte ihres Cousins Gerolat im Kopf war sie an den Willkürherrscher heran geschritten. Und sie hatte sich schon vorgestellt, wie er sie gleich anschreien würde, nur weil ihre Hand feucht war.
Amanus lächelte glücklich. Wie anders war es doch gekommen! Jetzt war sie verlobt, dirigierte soeben 4300 Handwerker für den Umbau der Wohnung und war kurz davor, die wichtigste Frau im Staate zu werden. Die Frau des Willkürherrschers!
»Nein, die Silbergeländer gefallen mir dort doch nicht«, ging sie leise zu den Handwerkern.
Amanus wollte nicht riskieren, dass der Willkürherrscher die Verlobung mit ihr lösen würde, nur weil sie sich für das falsche Geländer entschieden hatte, oder womöglich, weil die Arbeit noch nicht erledigt war, wenn er zurück kam.
»Ich möchte doch die Goldgeländer. Und zwar die geschwungenen, nicht die nüchtern geraden«, sagte sie nun etwas lauter.
Zwei Handwerker kamen mit einem großen Buch, in dem alles abgebildet war, was zur Ausstattung des Willkürherrschaftlichen Schlosses auf die Schnelle zur Verfügung stand.
‚Das Große Buch der Veränderungen’ stand darauf.
»Dieses hier, zukünftige Frau des Willkürherrschers?«, fragte der Handwerker mit den glitzernden Handschuhen.
»Ja, genau dieses. Ist das zeitlich denn noch möglich? Der Willkürherrscher wird wohl jeden Augenblick wieder kommen.«
»Natürlich ist das möglich. Für das Schloss des Willkürherrschers steht für die hier abgebildeten Produkte der Service des Materialisierens zur Verfügung. Ebenso der des Dematerialisierens. Sonst wäre ein Umbau dieser Größenordnung nicht in der kurzen Zeit machbar. Sehen Sie, das ist hier ja eine völlig andere Arbeit als zum Beispiel unten in der Stadt. In der Stadt ist es zeitaufwändig, körperlich belastend, unbefriedigend und uninspiriert. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie fantasielos und geschmacklos die Masse da unten in ihren kleinen Wohnungen ist. Sie trösten sich mit dem Begriff ‚in‘. Weil etwas ‚in‘ ist, fühlen sie sich damit gut. Die haben doch keine eigenen Ideen und keinen eigenen Geschmack. Einer will plötzlich einen Kamin, dann wollen ihn alle haben. So vorhersehbar. Nur was genau sie haben wollen zu einem nächsten Zeitpunkt x, das ist nicht vorhersehbar. Wie genau diese Mechanismen funktionieren, das habe ich noch nicht ganz durchschaut.«
Er schnippte mit dem Finger und einer der Handwerker brachte einen Teller mit Gurkenschnittchen.
»Wenn die Arbeit nicht so anstrengend ist, dann reicht mir auch eine kleine Mahlzeit als Snack«, erklärte er sich Amanus, ihr den Teller anbietend.
»Nein danke, ich habe vorhin erst ein paar Häppchen gehabt. Mit Lachs und Käse. Und überhaupt bin ich gar nicht hungrig.«
»Jaja, das kann ich mir vorstellen«, ereiferte sich der Handwerker, »als ich das letzte Mal verliebt war, habe ich zehn Kilo abgenommen. Ich war einfach die ganze Zeit so aufgeregt und verrückt, dass ich kaum essen konnte. Ich war
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