Willküra (German Edition)
aber auch dick früher. Man, man! Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.«
Amanus wurde ein bisschen nervös. Immerhin waren sie in Zeitnot. Und der Handwerker konnte sich doch ausrechnen, dass der Willkürherrscher ihn feuern würde, wenn er seine Arbeit nicht rechtzeitig schaffte. Sie würde sogar dafür sorgen, dass der Willkürherrscher erfuhr, wessen Schuld es war.
Und diesem Handwerker stand es auch gar nicht zu, sich hier Gedanken über ihr Verliebtsein zu machen.
Aber daran bin ich ja eigentlich selber schuld, dachte sie dann. Ich hätte es ihm nicht erzählen sollen. Ich darf nicht jedem alles erzählen, das muss ich noch lernen.
»Also, ist das dann jetzt noch schnell möglich mit den goldenen Geländern für die Große Treppe?«
»Ja, ja sicher!«, schien der Handwerker aus einem Traum aufzuwachen. »Wo war ich? Ah, bei den Leuten in der Stadt.«
Er griff sich drei Gurkenschnittchen, die er übereinander stapelte, öffnete den Mund so weit, dass er fast seinen Unterkiefer ausrenken musste, um alle Schichten gleichzeitig hineinzubekommen und stopfte das Brot nur mit der rechten Hand in sich hinein.
»Nur wenn es so richtig dick ist, ist ein Gurkenschnittchen wirklich gut!,« strahlte er Amanus an, und ein paar Krümel flogen bei jedem Wort aus seinem übervollen Mund raus.
»Also, jedenfalls, die Leute unten in der Stadt«, fuhr er fort, das Brot schon zur Hälfte geschluckt, »die bestellen immer das, was die Nachbarn oder Freunde bestellen. Das habe ich schon beobachtet. Aber wer ist da der Erste, der das bestellt? Und wer bietet das so geschickt an, dass das einer will und dann alle? Wenn ich darauf komme, wissen Sie, dann werde ich die Dinge anbieten, und nicht mehr einbauen. Das scheint mir das lukrativere Geschäft zu sein! Glauben Sie nicht?«
Amanus war es ziemlich egal, aber sie nickte, sagte ein überzeugendes ‚Ja‘, gegen das der Handwerker nichts einzuwenden haben konnte, denn es klang tatsächlich überzeugend, und dann tippte sie mit dem Finger auf das Bild der goldenen Geländer.
»Diese hier, bitte, wir haben nicht mehr viel Zeit.«
»Haha, da dachten Sie, nur weil sie eventuell demnächst vom Willkürherrscher geheiratet werden, dass das schon klappt mit dem Tippen?«
Der Handwerker lachte ein bisschen von oben herab.
»Nein, nein, meine Liebe. Da wird Ihnen der Willkürherrscher erst ein paar Rechte frei schalten lassen müssen. Und ich denke, vor der Hochzeit wird nichts dergleichen geschehen. Aber keine Angst, wir verlieren keine Zeit, dafür habe ich ja meine Handschuhe.«
Er entfernte mit einem Tippen das Häkchen von den silbernen Geländern und tippte danach auf die goldenen, die sofort anstelle der silbernen erschienen.
400 Handwerker standen sofort parat und schraubten das Geländer ein.
Von oben kam nun der Ober-Handwerker, der an seiner Kombination aus glitzernden Handschuhen und einer glitzernden Mütze zu erkennen war.
»So, wir wären dann fertig«, sagte er überschwänglich und schaute von oben auf seinen Kollegen herab. »Während du hier mal wieder nur Schnittchen isst, haben wir oben alles gemacht. Alles raus, alles neu!«
Er schaute Amanus an.
»Und er hier hat sicher wieder davon geträumt, dass er mal der Anbieter von modischen Produkten wird, oder?«
Böse Blicke trafen sich zwischen den beiden.
Amanus beschloss, sich aus diesem Zwist rauszuhalten, auch wenn es ihr schwer fiel, denn sie war eine geborene Schlichterin. Unmut und Streit waren für sie kaum auszuhalten.
»Er ärgert sich eben, dass ich sein Vorgesetzter bin, obwohl ich jünger bin. Und das Einzige, was ihm einfällt, um das zu ändern, ist die Beobachtung des Marktes, um eines Tages selbst zum Anbieter zu werden«, hetzte der Ober-Handwerker weiter.
»Wenn Sie dann so weit fertig sind?«, versuchte Amanus beide loszuwerden.
»Eines Tages wirst du noch froh sein, wenn du mal unter mir arbeiten darfst, du Glitzerkappe«, fauchte der Handwerker mit den Glitzerhandschuhen zurück.
»Die Herren?!«, ermahnte Amanus die beiden bestimmt.
»Wir sind ja schon weg«, sagte die Glitzerkappe und die beiden gingen aus der Tür.
Hinter ihnen marschierten sofort die 4298 übrigen Handwerker aus dem Schloss raus. Vor der Tür stimmten sie das Lied der Handwerksgilde an:
Wer noch klopfen kann, der klopfe,
alles was er kann:
Bretter, Fenster, Marmor, Kissen,
alles kommt mal dran.
Wer noch schrauben kann, der schraube,
alles was er kann:
Nägel, Flaschen, Scharniere,
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