Willst du meine Liebe nicht
er als Kind kennen gelernt hat.”
“So ist mein Rico.”
“Anna!” Ein stämmiger Mann mittleren Alters hatte seinen Kopf aus der Küchentür gesteckt.
“Ich bin gleich wieder da. Scusi.” Anna eilte in die Küche.
Durch die Schwingtür konnte Julie sehen, wie Anna sich den Schweiß abwischte. Ein anderer Mann, der ihrem Blickfeld entzogen war, brüllte: “Anna!” Die Frau drehte sich um und lief zu ihm.
Ein Kellner, der soeben ein Menü serviert hatte, stürmte in die Küche zurück. “Anna!”
Julies Erleichterung über Annas Identität wich abgrundtiefem Entsetzen. Diese erschöpfte, überarbeitete Frau war also die Person, von der er behauptete, er liebe sie wie eine Großmutter.
Er hatte in den höchsten Tönen von ihrer Güte geschwärmt, und trotz aller Verdienste um seine Jugend war sie so arm, dass sie wie eine Sklavin schuften musste, obgleich sie längst einen komfortablen Lebensabend verdient hätte.
Die Tür öffnete sich erneut. Diesmal erschien Anna beladen mit Tellern. Neben der Küchenarbeit musste sie demnach auch servieren. Sie bediente Gäste in der Nähe von Julie, plauderte ein wenig mit ihnen und kam dann zu Julie zurück.
Seufzend ließ sie sich auf einen Stuhl sinken. “Mein Rico hat Ihnen von mir erzählt… Er sagt immer so nette Dinge über mich.”
Leider tut er nichts Nettes für Sie, dachte Julie verärgert. Sie wurde mit jeder Minute wütender auf Rico.
“Was machen Sie überhaupt hier drinnen?” fragte Anna.
“Ricos Freundin verdient den besten Tisch.”
“Es war kein anderer frei…”
“Draußen ist es schöner.” Sie sagte etwas zu einem Jungen, der ungefähr sechzehn war.
Er stürzte davon und kehrte gleich darauf mit einem schmalen Klapptisch zurück, den er auf der Straße aufbaute.
Anna legte eine Decke darüber, zog zwei Stühle heran und zauberte eine Flasche Wein samt zwei Gläsern herbei, bevor sie Julie bedeutete, Platz zu nehmen.
“Trinken Sie”, befahl sie und schenkte den Chianti ein. “Es ist der Beste.” Sie setzte sich auf den anderen Stuhl.
“Ich möchte Ihnen keine Schwierigkeiten machen”, meinte Julie mit einem besorgten Blick auf den hünenhaften Mann, der Anna finster anstarrte.
“Schwierigkeiten? Ha!” Anna lachte schallend. “Ich habe hart gearbeitet. Und wenn ich mich setzen will, setze ich mich. Was möchten Sie essen?”
“Nun…”
Anna ließ sie nicht ausreden. “Spaghetti carbonara - sehr gut.
Ich hole Ihnen eine Portion.” Sie sprang auf und stürmte in die Küche.
Julie hatte das Gefühl, von einer liebenswerten Dampfwalze überrollt worden zu sein.
Innerhalb von Sekunden war Anna wieder da. Sie stellte einen Teller vor Julie und reichte ihr eine schneeweiße Serviette.
“Essen Sie.”
“Es ist köstlich”, beteuerte Julie nach dem ersten Bissen.
“Haben Sie das gekocht?”
“Si. Ich koche hier alle Gerichte.”
“Alle?” Julie war fassungslos. “Das ist ja eine gewaltige Arbeit.”
Anna zuckte die Schultern und erwiderte: “Ich habe einen Jungen, der mir helfen soll, aber er ist ein Idiot. Ich habe ihm gesagt, er soll verschwinden.”
“Sie haben Rico das Kochen beigebracht, oder?”
Anna strahlte. “Das hat er Ihnen erzählt? Wann?”
Julie suchte nach den richtigen Worten, um nicht zu viel zu verraten. “Er hat viel über Sie gesprochen. Dabei erwähnte er, dass die Küche sein Lieblingsplatz gewesen ist, weil Sie dort waren.”
Anna schwelgte in Erinnerungen. “Nach der Schule ist er immer zuerst zu mir gekommen. Mit wem hätte er sonst reden sollen?”
“Was ist mit seinen Eltern?”
“Sie starben beide, bevor er zehn Jahre alt war. Er lebte bei seinem Großvater. Der Alte war ein Teufel. Santo, Ricos Vater, war sein einziger Sohn. Er hatte eine gute Partie für ihn geplant, aber Santo ist ausgerissen und hat das Mädchen geheiratet, das er liebte. Maria war ein liebes, anständiges Mädchen, aber nicht gut genug für die Forzas, wie Arturo meinte.
Er war außer sich, doch er konnte nichts tun. Gleich nach der Hochzeit wurde sie schwanger. Kaum war Rico geboren, starb Santo. Arturo ging zu Maria, hat den Gütigen gespielt und sie eingeladen, bei ihm zu wohnen. Maria glaubte, er wäre nett, doch der alte Teufel hat nur an sich gedacht. Gleich nachdem sie bei ihm eingezogen war, hat er ein Kindermädchen für das Baby engagiert. Maria hat den Kleinen kaum gesehen. Einmal habe ich gehört, wie er zu ihr sagte: ,Du bist nicht gut genug, um die Mutter meines Enkels zu
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