Willst du meine Liebe nicht
ganz einwandfrei. Am Ende siegte die Neugier.
Der Korridor war leer, und Julie gelangte unbemerkt in Ricos Büro. Sie nahm den Hörer auf und drückte die
Wahlwiederholungstaste.
Nach zwei Freizeichen meldete sich jemand. “Ristorante Tornese.”
Sie entschuldigte sich und legte auf. Dann stahl sie sich hinaus, bevor Rico zurückkam, und eilte ins Hotel. Dort angekommen, blätterte sie das Telefonbuch durch, bis sie das Ristorante Tornese an der Piazza Santa Maria in Trastevere gefunden hatte.
Rico hatte ihr einmal von Trastevere erzählt, dem bunten Künstlerviertel von Rom. Seinen Schilderungen zufolge war es eine lebenslustige Gegend.
Und nun hatte er sein Herz dorthin verschenkt.
Den folgenden Tag verbrachte Julie mit Gary in Fregene. Erst am Abend kehrte sie nach Rom zurück.
Es war Tradition im La Dolce Notte, dass die Stars dienstags freihatten und die Bühne jungen Nachwuchskünstlern überließen. Heute war Dienstag, und Julie hatte nichts vor.
Sie brachte den Wagen zurück und ging ins Hotel, in der Hoffnung, eine Nachricht von Rico vorzufinden. Schließlich wusste er ja, dass sie nicht arbeiten musste, und wollte sie vielleicht sehen. Aber es war keine Nachricht von ihm da.
Nachdem Julie eine Stunde in ihrer Suite gewartet hatte, rief sie ein Taxi.
Trastevere lag am anderen Ufer des Tiber. Kaum hatten sie den Fluss überquert, änderte sich die Atmosphäre. Von irgendwoher erklang Musik, in die sich fröhliches Lachen und Gesang mischten.
“Wir sind da”, verkündete der Fahrer. “Geradeaus geht’s zur Piazza Santa Maria. Ich kann Sie leider nicht hinbringen, weil die Straßen für den Autoverkehr gesperrt sind.”
Die Menschen schienen die gepflasterten Gassen zu ihrem Lebensmittelpunkt auserkoren zu haben. Über ihnen spannten sich Wäscheleinen von Haus zu Haus. Es gab einige Bars und Cafes, deren Besitzer das bunt zusammengewürfelte Mobiliar ebenfalls ins Freie geräumt hatten. Aus jeder Tür, jedem Fenster strahlte Licht.
“Gütiger Himmel”, meinte Julie.
Der Chauffeur grinste. “Heute ist Festival. Normalerweise geht es hier ein bisschen ruhiger zu.”
Nachdem sie den Mann bezahlt hatte, bahnte sie sich einen Weg durch die Menge. Akrobaten und Gaukler führten ihre Künste vor. In einiger Entfernung entdeckte sie einen Mann auf Stelzen, hinter dem Feuerschlucker und Tänzer in altertümlichen Kostümen die Schaulustigen unterhielten.
Das Ristorante Tornese lag an einer Kreuzung. Es war klein, aber gemütlich. Da alle Tische auf der Straße besetzt waren, ging Julie hinein und ergatterte den letzten freien Tisch. Sie musterte die Kellnerinnen und sah sofort, wer Anna sein musste.
Sie war jung und schön mit einem engelsgleichen Gesicht.
“Was kann ich Ihnen bringen?” Das Mädchen war neben ihr stehen geblieben.
“Ein Glas Wein, bitte.”
“Sind Sie krank, Signorina?” erkundigte sich das Mädchen besorgt.
Julie riss sich zusammen. “Nein. Mir geht es gut. Nur ein Glas Wein, bitte.”
Das Mädchen verschwand. Julie saß nahe der Küchentür, die pausenlos auf-und zuschwang, weil das viel beschäftigte Personal ständig heraus-und hineinging. Eine stattliche ältere Frau stand am Herd und rührte eifrig in den Töpfen. Sie trug schäbige schwarze Kleidung und hatte sich das graue Haar mit einem schwarzen Tuch zurückgebunden.
Die Tür schloss sich wieder, und wenige Sekunden später tauchte die Frau mit Julies Wein auf. “Ist mit Ihnen alles in Ordnung?” fragte sie. “Sara hat sich Sorgen gemacht.”
“Sara? Das Mädchen heißt Sara? Nicht Anna?”
“Anna? Nein.” Die alte Frau lachte vergnügt und wischte sich die schweißbedeckte Stirn mit der schwarzen Schürze ab. “Ich bin Anna.”
11. KAPITEL
“Sie sind Anna?” Julie traute ihren Ohren kaum. “Aber Sie
…”
Plötzlich stieß Anna einen triumphierenden Laut aus. “Ich kenne Sie! Sie singen im Club von meinem Rico. Ich habe Ihr Bild gesehen.”
“Ja, ich singe im La Dolce Notte. Ich bin Julie Hallam. Und Sie sind Ricos Anna?”
Die Augen der alten Frau leuchteten auf. “Rico hat Ihnen von mir erzählt?”
“Nun ja …” Sie konnte schlecht erzählen, dass sie das Telefonat belauscht hatte.
Glücklicherweise wartete Anna die Antwort gar nicht erst ab.
“Manchmal nennt er mich Anna, manchmal Nonna.”
“Sie sind Nonna?” Endlich fügten sich die Teile des Puzzles zusammen. “Jetzt verstehe ich. Er sagte, er würde Sie Nonna nennen, weil Sie ihm all die Liebe gegeben haben, die
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