Willst du meine Liebe nicht
durch tiefe Gräben von den Besuchern getrennt und genossen so natürlich mehr Freiheit als im Käfig. Nachdem Julie Rico vor dem Löwengehege versprochen hatte, auf ihn zu warten und kein weiteres Unheil anzurichten, verschwand er in der Menge.
Ein paar Minuten später kehrte er mit vier Eistüten zurück.
“Schokolade”, sagte er und reichte ihr die erste, “weil es deine Lieblingssorte ist. Pfefferminz, weil es deine zweitliebste ist.
Und Pistazie, weil du die noch nie probiert hast.”
“Woher willst du das wissen?”
“Was immer du in den letzten Jahren gemacht hast, du warst an keinem Ort, wo es so gute Eiscreme gibt wie hier.”
“Das stimmt.”
Die vierte Eistüte behielt er selbst. Hand in Hand bummelten sie weiter.
“Was hast du eigentlich in all den Jahren gemacht?”
erkundigte er sich beiläufig. “Ich weiß nur, dass du ein Star geworden bist.”
“Da gibt es nicht viel zu erzählen”, meinte sie ausweichend.
“Du hast doch bestimmt Freunde”, fuhr er eine Spur zu harmlos fort. “Du rufst doch gewiss nicht immer nur diesen …
wie war sein Name? … Gary an.”
“Ich habe viele Freunde”, bestätigte sie. “Das Eis ist köstlich.
Und wie ist deins?”
Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Themenwechsel zu akzeptieren. “Hervorragend.”
Es war eine völlig neue Erfahrung für Rico, einer Frau die Führung zu überlassen. In den Tagen ihrer ersten Liebe war Julie ihm einfach in die Arme gesunken und hatte nie verlangt, dass er sie umwarb.
In einträchtigem Schweigen schlenderten sie durch den Park.
Irgendwann wurden sie erkannt, und die Nachricht von ihrem Zoobesuch verbreitete sich wie ein Lauffeuer. In der Nähe des Elefantenhauses fanden sie ein kleines Gartencafe. Sie setzten sich unter einen Baum und bestellten einen Imbiss. Sogleich wurden sie von einer Schar Paparazzi umringt, die ein Foto nach dem anderen schossen. Sie durften sicher sein, dass die Aufnahmen reißenden Absatz finden würden: Rico Forza in Freizeitkleidung, Hamburger essend und mit einer Frau scherzend, die seine Augen strahlen ließ.
“Lass sie doch”, bat Julie lächelnd, als er die Meute verjagen wollte. “Es ist gut für meine Karriere. Und außerdem wird Mariella schäumen vor Wut.”
“Du kannst sie wirklich nicht ausstehen, oder?”
“Nein.”
Julie wünschte, dieser Tag möge niemals enden. Sie plauderten über dies und das, wobei sie gefährliche Themen zunächst sorgsam aussparten. Allmählich wuchs jedoch die Vertrautheit, so dass auch persönlichere Fragen fielen.
“Du hast einmal erwähnt, dass dir nichts so sehr das Gefühl vermittelt, lebendig zu sein, wie Singen - abgesehen von Liebe.”
“Das war nicht ich, sondern Patsy Brown.”
“Was ist aus ihr geworden?”
“Das Leben hat ihr übel mitgespielt, und sie hat aufgehört zu existieren. Das war’s.”
“Das war’s”, wiederholte er versonnen. “Wer hätte gedacht, dass so viel in nur zwei Worten liegen kann?”
“Es gab eine Zeit, da hast du gesagt, du liebst mich”, konterte sie. “Nur drei Worte, aber in ihnen liegt die Welt. Die Welt, die ich immer wollte.”
“Nicht ganz”, erinnerte er sie. “Du wolltest auch Ruhm.”
“Ja, aber nicht um diesen Preis.” Sie seufzte. “Vielleicht ist die Vergangenheit zu mächtig.”
“Das muss nicht so sein. Wir können unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.”
Sie lächelte wehmütig. “So spricht ein echter Forza. Leider können wir nicht alle ,Herrscher der Welt’ sein.”
“Ich fühle mich nicht wie ein Herrscher der Welt”, gestand er,
“sondern eher wie der Junge, der dich zum Weinen gebracht und sich dann vor Verzweiflung die Haare gerauft hat.”
“Du hast mich damals nie zum Weinen gebracht.”
“Doch, einmal. Ich hatte schlechte Laune und war deshalb unfreundlich zu dir.”
“Ich kann mich nicht daran erinnern.”
“Ich habe es nie vergessen. Ich war am Boden zerstört, weil ich dir wehgetan hatte.”
Was sollte sie darauf erwidern?
“Mama! Mama!”
Sie wandten ihre Aufmerksamkeit dem kleinen Jungen zu, der mit seinem Vater vor dem Schimpansenkäfig stand und seiner Mutter zuwinkte. Sie hatte gerade Eiscreme gekauft und beeilte sich nun, zu ihrer Familie zurückzukehren. Der Vater lächelte voller Besitzerstolz.
Der Junge war ungefähr so alt wie Gary. Julie ahnte, dass Rico an seinen eigenen Sohn dachte. Grenzenloser Kummer spiegelte sich auf seinen Zügen wider.
Nach einer Weile drückte er leicht ihre Hand.
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