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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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Entschluss «nahezu feststeht», sucht er den Kontakt zu Genossen wie Horst Ehmke, Günter Gaus oder Holger Börner, die ihn vor einem voreiligen Schritt warnen – und einer, von dem er es zuallerletzt geglaubt hätte, redet ihm dabei auf besondere Weise ins Gewissen. Wegen solcher «Lappalien» die Segel zu streichen, entrüstet sich am zweiten Tag des Treffens von Bad Münstereifel der Finanzminister Helmut Schmidt, gehöre sich einfach nicht.
    «Spionage», schreit er seinen schwankenden Kanzler da an, gebe es «jedes Jahr, und wenn mir irgendjemand eine Wanze in meine Aktentasche tut, was kann ich dafür?». Bei aller Ungeduld, mit der es den ehrgeizigen Hanseaten an die Spitze drängt – die Vorstellung, dass die Stasi einen Regierungschef der Bonner Republik aus dem Amt zu kippen imstande sein könnte, ist ihm so «instinktiv unerträglich», wie er die «kleinbürgerliche Moralität» verabscheut, die dem Spektakel anhaftet.
    Der Rücktritt Brandts sei eine Reaktion «out of proportions» , erregt sich Schmidt, und ähnlich sieht es auch der künftige Bundespräsident Walter Scheel, der den immer noch unentschiedenen Willy Brandt auf die rustikale Tour zu ermuntern versucht: «An Ihrer Stelle würde ich mir sagen, dass sich das auf einer Arschbacke absitzen lässt» – zwei der Lage womöglich eher angemessene Urteile. In Wahrheit, bekräftigt nach dem Zerfall der DDR selbst der Chef der ostdeutschen Auslandsaufklärung, Markus Wolf, sei der Bonner Spionagecoup für ihn kein Erfolg gewesen, sondern, wie sich angesichts der bald wieder verhärteten Fronten zwischen den beiden Regierungen herausgestellt habe, die «größte Niederlage» in seiner Karriere.
    Doch Brandt ist weder Schmidt noch Scheel. Schwerer wiegen für ihn letztlich die Argumente, die ihm seine engste und mit seiner Psyche vertraute Bezugsperson, Egon Bahr, einzuträufeln beginnt: «Sie werden dich jagen und in sechs oder acht Wochen zum Rücktritt zwingen …» Um den deutlich angeschlagenen Freund vor der «Zerstörung oder Selbstzerstörung» zu bewahren, rät er ihm dringend, das Gesetz des Handelns zu bestimmen, solange er das noch könne.
    Und der Kanzler springt. Nach seiner Heimkehr von der Klausur verfasst er am Sonntagabend in seinem Bonner Domizil handschriftlich einen auf Montag, den 6. Mai 1974, vordatierten Brief an Gustav Heinemann, der sich zu dieser Zeit zu einem Besuch in Hamburg aufhält. Mit der knappen Begründung, er übernehme «die politische Verantwortung für Fahrlässigkeiten im Zusammenhang mit der Agentenaffäre Guillaume», ersucht er das Staatsoberhaupt um seinen sofortigen Abschied. «Sei mir bitte nicht böse», fügt er in einem kurzen Begleitschreiben hinzu.
    In der Nacht zum Dienstag versammeln sich schockierte Jusos im Schein brennender Fackeln vor Brandts Dienstvilla – und am folgenden Morgen endet die kurze Ära des ersten sozialdemokratischen Regierungschefs der Bundesrepublik mit einer von Fernsehkameras eingefangenen Szene, die die Gemüter bewegt: Sie zeigt Herbert Wehner, wie er im Fraktionssaal der SPD in einem etwas ungelenk formulierten, in seiner geballten Theatralik aber kaum zu überbietenden Satz den scheidenden Kanzler mit einem Strauß roter Rosen umgarnt: «Wir fühlen Schmerz über das Ereignis, Respekt vor der Entscheidung und Liebe zur Persönlichkeit und zur Politik Willy Brandts miteinander.»
    In einer Nahaufnahme sieht man Egon Bahr auf seinem Platz neben dem zum Monument erstarrten Gefährten in Tränen ausbrechen. Er habe sich bei so viel «Gemeinheit und Heuchelei», wird er auch danach noch seinen Empfindungen freien Lauf lassen, nicht im Zaum halten können.

10.
    «Habe meinen Hut ja nur zur Hälfte genommen» Parteipatriarch und Weltinnenpolitiker
    Natürlich fällt einem wie Brandt, der seit den frühen fünfziger Jahren in hohen und höchsten staatlichen Funktionen mit allen dazugehörenden Privilegien ausgestattet worden ist, die plötzliche Umstellung auf das Dasein als Privatmann schwer. Außer dem idyllischen Palais Schaumburg geht ihm auch seine Villa auf dem Bonner Venusberg verloren, und wie man in einer «Behausung ohne Geister» zurechtkommt, «die von Amts wegen dienstbar sind», muss er nach eigenem Bekunden erst noch lernen. Am Tag des Umzugs, erinnert sich seine Frau Rut, nimmt er sich extra Urlaub, bringt aber letztlich nicht mehr zustande, als seinen Wintermantel in die neue Wohnung zu tragen.
    Dabei gibt sich die Partei alle Mühe, ihm das Leben

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