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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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«danach» möglichst angenehm zu machen. Unweit des alten Domizils erwirbt der Schatzmeister der SPD, Alfred Nau, am Paulshof für rund eine Million Mark ein komfortables Anwesen mit immerhin zwölf Zimmern und attraktivem Swimmingpool. So kann der Vorsitzende zu einem günstigen Mietzins wenigstens in seinem geliebten Stadtteil bleiben.
    Doch im Grunde sind das nur Nebensächlichkeiten, die ihn kaum wirklich berühren. Als sehr viel belastender empfindet er dagegen die mit dem jähen Machtverlust einhergehenden Entzugserscheinungen, und die quälen ihn umso mehr, je stärker in ihm der Verdacht rumort, das Opfer übler Rankünen geworden zu sein. Also beginnt er bereits im Juni, wie sich erst aus seinem Nachlass ergibt, an den «Notizen zum Fall G.» zu arbeiten – eine dreiundvierzig Seiten umfassende geheime, allerdings von zahlreichen Fragezeichen überhäufte Recherche, mit der er das vermeintliche Komplott zu enthüllen beabsichtigt.
    Nach außen hin lässt er sich von seinem Verdacht nichts anmerken, im Gegenteil. Trotz des Grolls über die tatsächlichen oder eher wohl nur herbeiphantasierten Umstände seines Sturzes erweist sich Willy Brandt vor allem in seinen Beziehungen zum neuen Regierungschef so loyal, dass selbst der den Christdemokraten verbundene Politikwissenschaftler Werner Kaltefleiter vom «gelungensten Kanzlerwechsel» in der Geschichte der Bundesrepublik spricht. Solange der Nachfolger auf Nörgeleien verzichte und nicht behaupte, er habe von ihm einen «Scheißladen» übernommen, erklärt der Vorgänger etwas prosaischer, wolle er sich seinerseits aller Störmanöver enthalten.
    Angesichts der atemberaubenden Aktivitäten, die der Profi Helmut Schmidt entfaltet, fällt ihm das nicht immer leicht. Im Rekordtempo führt ihm der zupackende Genosse vor Augen, was er unter Richtlinienkompetenz versteht und auf welchen Stil sich das Land nun einzustellen hat. Obschon mit dem Abgang Brandts und dem Umstieg des bisherigen FDP-Spitzenmanns Walter Scheel ins Bundespräsidialamt in der sozialliberalen Koalition gleich beide Stützpfeiler weggebrochen sind, benötigt der sprichwörtliche «Macher» gerade mal drei Tage, um das Kabinett grundlegend zu erneuern.
    Irritieren müssen den Altkanzler auch die inhaltlichen Zäsuren. Von seinem Reformprogramm, das in der zweiten Legislaturperiode bereits erheblich zusammengestrichen worden ist, bleibt da nur noch wenig übrig, und das gilt selbst für die ihm wichtigen Ost-Initiativen – jedenfalls für solche, die sich lediglich mit materiellen Anreizen erkaufen lassen. In einer nach wie vor unter der Ölkrise ächzenden Republik soll das «Mögliche» und «Nächstliegende» beackert werden, in Schmidts Prioritätenkatalog sind das allem voran die Bekämpfung der wirtschaftlichen Misere wie die Verteidigung von Sicherheit und Ordnung.
    Zu den für Brandt gravierenden politischen Enttäuschungen kommen darüber hinaus noch beträchtliche private Probleme. Wie sehr die von den Ermittlungsbehörden unversehens zur Staatsaffäre erhobenen «Weibergeschichten» die ohnehin seit längerer Zeit strapazierte Ehe belasten, wird in ihren «Erinnerungen» seine Frau Rut bestätigen: «Willys Neigung in diese Richtung» sei ihr zwar schon vorher nicht ganz unbekannt gewesen – aber besonders schmerze sie, wie er im Zusammenhang mit dem angeblichen Kronzeugen Guillaume auf ihre Fragen reagiert habe.
    Am Vorabend seines Rücktritts gesteht er eher beiläufig, ein über zwei Jahre andauerndes, inzwischen allerdings beendetes «ernstes Verhältnis» gehabt zu haben, und hüllt sich von Stund an in Schweigen. Selbst als sie ihn Wochen später bei einem Waldspaziergang in Norwegen zu einem klärenden, letztlich um Versöhnung bemühten Gespräch ermuntert («… vielleicht können wir darüber lachen»), reagiert er schroff mit einem knappen «Nein». Stattdessen paukt er mit seinem jüngsten Sohn Matthias Englisch; für die gedemütigte Gefährtin der «Anfang vom Ende».
    Doch bis zur Trennung werden noch Jahre vergehen. So verbiestert sich der Kanzler a.D. seiner Familie verweigert und im neuen Haus in strikter Abgeschiedenheit gleichsam als Untermieter lebt, so mitteilungsfreudig präsentiert sich der einstige Journalist nun als Autor. Bereits im Herbst 1974 erscheint unter dem Titel «Über den Tag hinaus» eine «Zwischenbilanz» seiner Regentschaft, der 1976 die «Begegnungen und Einsichten» und 1982 schließlich das Kultbuch «Links und frei» folgen. Es sind

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