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Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)

Titel: Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Joachim Noack
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von jener der meisten Landsleute krass abweicht und «für viele in einem Halbdunkel» liegt, aber die daraus gezogenen gehässigen Schlussfolgerungen weist er entschieden zurück.
    Tatsächlich sieht sich der überzeugte Antifaschist, als er im Frühjahr 1933 in Oslo eintrifft, «im Außendienst» seiner Partei. Er möchte den Widerstand gegen das «Zwangsregime der Verderber» organisieren und der im Berliner Untergrund arbeitenden «Reichsleitung» der SAP beistehen, indem er eine für den konspirativen Nachrichtenverkehr benötigte «Relaisstation» aufbaut. Genauso wichtig ist ihm aber auch die Rolle des Botschafters, der mit Hingabe das von Hitler und Konsorten in Verruf gebrachte «wahre Deutschland» vertritt, und dieser, wie er später gelegentlich einräumt, etwas überbordende Enthusiasmus bestimmt von Anfang an sein Handeln.
    Das unterscheidet ihn von jenen Emigranten, die sich verbittert in Sehnsucht nach der verlorenen Heimat verzehren. Das mit jugendlichem Elan und beträchtlichen Erfolgsphantasien befrachtete Projekt verlangt ihm ab, seiner in Lübeck häufig zur Schau gestellten Weltflucht zu entsagen, was ihm umso besser gelingt, als ihm die neue Umgebung auf den Leib geschnitten scheint. Sein Gastland kennt er seit einer 1931 unternommenen längeren Ferientour; mit seinen Fjorden und Bergen und einem auf Bodenständigkeit gründenden Menschenschlag kommt es seinem «nordischen Naturell» entgegen.
    Aber diese «ganz natürliche Wahl» hat auch ihre Kehrseite. Als der «Tourist», der jetzt offiziell wieder Herbert Frahm heißt, in der damals zweihundertfünfzigtausend Einwohner zählenden Hauptstadt Oslo Fuß zu fassen versucht, leidet das ökonomisch ohnehin labile Norwegen unter einer besorgniserregenden wirtschaftlichen Depression. Die Erwerbslosenquote liegt bei annähernd einem Drittel, und unter dem seit kurzem amtierenden bürgerlich-liberalen Kabinett Johan Ludwig Mowinckel, das dem Umbruch im «Dritten Reich» mit einigem Wohlwollen zusieht, fährt die Fremdenpolizei gegenüber Flüchtlingen einen rigiden Kurs. Wer sich auffällig verhält, wird von wenig verständnisvollen Beamten, die schon bald heimlich mit der deutschen Gesandtschaft und vermutlich sogar der allmählich einsickernden Gestapo paktieren, kurzerhand des Landes verwiesen.
    An den strengen Auflagen gemessen, die das für Brandt zuständige und gefürchtete «Centralpasskontoret» penibel überwacht, gestattet sich der umtriebige SAP-Funktionär erstaunliche Freiheiten. Zwar ist die zunächst auf drei Monate begrenzte Aufenthaltserlaubnis an den Verzicht auf jedwede politische Tätigkeit gebunden, doch dieser «Empfehlung», so witzelt er noch Jahrzehnte danach, habe er in Anbetracht seiner Mission leider zuwiderhandeln müssen.
    Von Vorsicht keine Spur; im Gegenteil. Um den Einheimischen, die zu Beginn seiner Osloer Zeit noch weitgehend indifferent auf das NS-Regime reagieren, ein Bild von «Tyskland under hakekorset» – «Deutschland unter dem Hakenkreuz» – zu vermitteln, veröffentlicht der Journalist zahlreiche Artikel in norwegischen Zeitungen. Als «Felix Franke» oder «Karl Martin» bedient er linksorientierte Blätter mit Lageberichten oder Kommentaren und beherrscht bereits nach wenigen Wochen die Landessprache so gut, dass er in gewerkschaftlichen Bildungsstätten kleine Vorträge halten kann.
    Seinen vielversprechenden Auftakt hat er dabei insbesondere der «Norwegischen Arbeiterpartei» (NAP) zu verdanken. Deren Führung bekennt sich in den frühen dreißiger Jahren noch zum «revolutionären Marxismus», steht dem Verbindungsmann der programmatisch verwandten SAP folglich näher als den nach London und Prag geflohenen Spitzenleuten der deutschen «Mehrheitssozialdemokratie» und unterstützt den Genossen nach Kräften. Aus einem Hilfsfonds wird er mit Zuschüssen bedacht, während sich der Vorsitzende Oscar Torp höchstpersönlich dafür einsetzt, dass er in seinem Pressebüro mitarbeiten darf.
    Da sich der fleißige Jungredakteur um der Honorare willen zudem noch geschickt «in der Kunst des Zeilenschindens» übt, geht es ihm materiell durchaus erträglich, aber er lebt auch gefährlich. Einige der Pseudonyme, die er zur Verschleierung seiner Identität verwendet, werden von bürgerlichen Boulevardzeitungen rasch dechiffriert – ein gewisser «Frahn» , monieren sie, treibe noch immer sein Unwesen –, und so droht dem als kommunistischer Unterwanderer eingeschätzten Deutschen schon Mitte August 1933

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