Willy Brandt: Ein Leben, ein Jahrhundert (German Edition)
wird.
Natürlich weiß er, mit wem er paktiert, wenn er die Dienste etwa über Gräueltaten der Nazis im besetzten Europa oder die zunehmend schwierige ökonomische Lage in Schweden ins Bild setzt – aber ist das wirklich so verwerflich? Was aus der Perspektive der Säpo, die auf die strikte Neutralität ihres Landes achtet, als hochgefährlich erscheinen mag, nennt die SOE «offene Nachrichtentätigkeit», und der «Spiegel» kommt Ende der neunziger Jahre schließlich zu einem ähnlichen Ergebnis: Ein «klassischer Agent» sei der Journalist trotz seiner Umtriebe in einer «Grauzone» nie gewesen – «weder ein James Bond des Sozialismus noch ein finsterer Spion».
Ebenfalls keine konkreten Belege gibt es für die schon in den Fünfzigern grassierenden Gerüchte, er habe das Maß des gerade noch Vertretbaren bei seinen Kontakten zur Sowjetunion überschritten. «Das Verhökern militärischer Erkenntnisse», kommentiert der in solchen Zusammenhängen damals wie zu allen Zeiten danach äußerst einsilbige Widerständler, «interessierte mich nicht» – und noch weniger sei er, als Hitler im Laufe des Jahres 1944 endgültig die Felle davonschwammen, jemals zum «Mann Moskaus» geworden.
Wann immer Willy Brandt einen Einblick in sein Innenleben gewährt – was selten genug geschieht –, beschränkt er sich auf einige kärgliche Sätze wie jenen, wonach er in seiner Jugend zwar viele Freunde gehabt habe, nur genau genommen nie einen richtigen. In Norwegen ist er dann schon erwachsen, als er 1934 auf den Analytiker Wilhelm Reich trifft, dessen Lehren ihn offenbar beschäftigen. Der Exilant beginnt zu erahnen, dass der Mensch nicht allein ein Produkt der Gesellschaft ist, sondern zumindest ebenso sehr von Erbanlagen abhängig, doch um seine Psyche näher durchleuchten zu lassen, fehlt es ihm letztlich schlicht an Neugier.
Er habe sein Dasein «auch ohne diese Hilfe» bewältigt, schreibt der Elder Statesman in «Links und frei» und widmet sich etwas verklausuliert unter anderem der «Frauenfrage» – ein von ihm bis dahin lediglich mit wenigen spröden Halbsätzen gestreiftes Thema. So ist ihm die Trennung von seiner ersten festen Freundin Trudel Meyer nur ein paar nichtssagende Reminiszenzen wert, in denen er pflichtschuldig ihre Verlässlichkeit und sozialistische Gefolgschaftstreue lobt. Über seine Empfindungen ansonsten kein einziges Wort.
Mit Carlota Thorkildsen, verheiratete Frahm, die er schon bei seiner Flucht nach Schweden seltsam unbeteiligt als «werdende Mutter meiner Tochter» in Oslo zurücklässt, läuft es kaum besser. Zwar legt er sich mächtig ins Zeug, um Frau und Kind nachzuholen – und in Stockholm wird nach der übereinstimmenden Schilderung mehrerer Zeitgenossen auch eine gediegene Häuslichkeit demonstriert –, aber die traute Eintracht täuscht. Bereits im Januar 1943 wechselt die von ihrem Mann nachträglich als «sehr tapfer» gerühmte Partnerin in eine Wohnung der norwegischen Gesandtschaft. Das endgültige Scheitern seiner Ehe datiert er dann auf das vorletzte Kriegsjahr – laut Brandt auch deshalb eine einschneidende Zäsur, weil er sich nun angeblich schwere Vorwürfe macht.
«Ich war mit mir selbst zerfallen», diktiert er anderthalb Jahrzehnte später seinem Ghostwriter und stellt sich die Frage, ob ein Vertreter seines Metiers, für den es ja schließlich um «weltpolitische Entscheidungen» gegangen sei, überhaupt das Recht gehabt habe, eine Frau an sich zu fesseln. «Politik», konstatiert er, «frisst den Menschen mit Haut und Haaren» – eine im Prinzip vielleicht zutreffende, doch auch etwas scheinheilige Einsicht.
Denn der wahre Grund dafür, weshalb sich der Familienvater so schnell von seiner Ehefrau löst, ist bei weitem nicht so altruistisch. Er sieht flott darüber hinweg, dass er bereits im Herbst 1942 eine andere norwegische Exilantin namens Rut Hansen kennengelernt hatte – und zwar exakt an jenem Tag, an dem die um sechs Jahre jüngere «Arbeitertochter» aus Hamar den im Pressebüro der Botschaft angestellten Landsmann Ole Olstad Bergaust heiratete. Bei der Hochzeitsfeier, zu der sich auch Leute einfanden, die den Gastgebern nicht bekannt waren, fiel der Blick der Braut auf Brandt, der sich nach ihrer Beobachtung bestens amüsierte: «Er war umschwärmt von Damen», notiert sie in ihren Memoiren, «und hatte offenbar nichts dagegen.»
Was sich danach auf Tanzabenden und allerlei fröhlichen Feten der norwegischen Gemeinschaft in Stockholm Schritt
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