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Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Titel: Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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brüllte ich. »Ich schwöre, dass ich nicht zur Polizei oder zum Weihbischof rennen werde. Ich gebe es euch schriftlich, wenn ihr wollt, als eidesstattliche Versicherung. Kauft mir ein Flugticket, und ich fliege sofort nach Südamerika. Dann seid ihr mich los, ich tauche unter und nenne mich Karl Deutschmann. Niemand wird mich finden.«
    »Wir sind eine große Gruppe«, sagte sie, »und die meisten sind berufstätig. Es ist nicht einfach, die Kommunikation über eine solche Entscheidung herzustellen.«
    »Die Kommunikation herstellen«, höhnte ich. »Was ist das für ein Soziologengewäsch? Daumen rauf oder Daumen runter, das ist doch hier die Frage. Stimmt ab, telefonisch, schriftlich, wie auch immer. Nur kommt endlich zu Potte.«
    Offensichtlich hatte mein Ausbruch etwas bewirkt. Am folgenden Abend brachte Tori den weißen Sack mit. »Es sieht gut für dich aus«, verkündete sie. »Wir weihen dich ein.«
    »In was?«, fragte ich skeptisch. »Wenn du glaubst, dass ich bei euch mitmache, hast du dich geschnitten. Ich bin gegen Fanatismus und Gewalt, zumindest seit zwanzig Jahren.«
    »Darum geht's nicht. Wart's einfach ab.«
    Also zog ich den Sack über den Kopf und ließ mich in das Wohnzimmer führen. Das Kaminfeuer prasselte wieder, ich fühlte mich schon fast wie zu Hause.
    »Es hat lange gedauert, aber nun haben wir uns durchgerungen«, sagte die salbungsvolle Stimme, die bereits vor drei Tagen das große Wort geführt hatte. »Vielleicht ist es ein großer Fehler, Ihnen Vertrauen zu schenken.«
    Ich hob den Arm. »Lassen Sie mich eins klarstellen: Ich will nichts von Verbrechen hören, weder von solchen, die Sie begangen haben, noch von jenen, die Sie planen. Das würde mein Gewissen unnötig belasten. Denn ich habe nicht vor, Ihrem Verein beizutreten.«
    »Das ist auch nicht beabsichtigt«, fuhr die Stimme fort. »Wir wollen Ihnen lediglich deutlich machen, warum wir das tun, was wir tun. Wir liefern uns Ihnen damit aus, bis zu einem bestimmten Grad jedenfalls. Aber wir hoffen, dass Sie die Informationen nicht gegen uns verwenden werden.«
    Ein Verdacht setzte sich in meinem Kopf fest. Der Verdacht, dass der Mann zu der Organisation gehörte, die er bekämpfte.
    »Ich bin Priester«, kam die Bestätigung im nächsten Augenblick. »Genauer gesagt: ein zum Priester geweihter Mönch. Ich lebe in einem Kloster im Münsterland. Meine Arbeit lässt mir viel Zeit, über Theorie und Praxis der Kirche nachzudenken. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Seit langer Zeit, vermutlich seit dem fünften Jahrhundert, als die katholische Kirche Staatskirche wurde, beteiligt sie sich an staatlichen Verbrechen. Ich will hier gar nicht von der Inquisition und den Hexenverbrennungen reden. Das kann man als finsteres Mittelalter abtun. Aber bis auf den heutigen Tag weihen Priester Waffen und Bomben. Während der Nazizeit hat die Kirche schweigend mitangesehen, wie die Faschisten Millionen Menschen umbrachten. Es gab ein Konkordat zwischen Hitler und dem Papst. Leute wie Kardinal von Galen, der in den letzten Kriegsjahren gegen die Nazis predigte, waren die absolute Ausnahme. Noch heute werden Theologen, die sich auf die Seite der Unterdrückten stellen, wie die Vertreter der Befreiungstheologie in Südamerika, mundtot gemacht. Und der Papst verbietet im Aids-Zeitalter den Katholiken, Präservative zu benutzen. Aids sei eine Geißel Gottes, sagt er und meint indirekt, dass alle, die Aids bekommen, schuldig geworden sind.«
    Er hielt inne und atmete schwer.
    »Eine Frage drängt sich auf«, warf ich ein. »Warum sind Sie noch Priester?«
    »Oh, das habe ich mich oft gefragt. Manch schlaflose Nacht habe ich mit dieser Frage verbracht. Und ich bin nicht der Einzige. Es gibt Gegenbeispiele, bis in die Spitze. Papst Johannes der Dreiundzwanzigste war so ein Gegenbeispiel. Vielleicht sähe die Kirche heute anders aus, wenn Johannes Paul der Erste nicht wenige Tage nach seiner Amtseinführung unter merkwürdigen Umständen gestorben wäre. Aber wie auch immer, ich gebe zu, dass ich nach Ausreden suche. Ich habe Angst vor einem Leben außerhalb der Kirche. Außer Theologie habe ich nichts gelernt.« Er machte eine Pause. »Jetzt wissen Sie genug über mich. Hier sind noch andere, die etwas zu sagen haben.«
    Das war das Stichwort für eine junge Frau, die mit stockender Stimme begann: »Ich bin nicht so gut im Reden. Ich habe nicht studiert. Ich bin Kindergärtnerin, das heißt, ich war Kindergärtnerin, bis ich entlassen wurde. Im Moment

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