Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
Himmel. Langsam wischte er sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er die schwarzen Gedanken dahinter verscheuchen. Mit einem Ruck wandte er mir den Kopf zu.
»Tut mir leid«, sagte er mit der warmen Stimme, die ich aus dem Haus in Angelmodde kannte, »ich habe es nicht für möglich gehalten, dass Sie sich uns gegenüber loyal verhalten.«
Ich lächelte. »Sind Sie nicht gehalten, an das Gute im Menschen zu glauben?«
Er gab einen glucksenden Ton von sich. »So naiv bin ich nun auch wieder nicht.« Sofort wurde er wieder ernst. »Wenn Ihre These stimmt, sieht es sehr böse für uns aus. Haben Sie einen Vorschlag?«
»Gegenfrage: Haben Sie eine Idee, wer der Verräter ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Das Wichtigste ist, dass wir den Maulwurf im Kommando Jan van Leiden ausfindig machen.«
»Wir?« Mareike runzelte die Stirn.
»Ja. Wir. Ich schlage vor, dass ihr mich als Neumitglied vorstellt. Wann ist das nächste Treffen?«
»Warum tun Sie das?«, fragte Martin.
Ich guckte zum Kloster. »Sagen wir: aus persönlichen Gründen.«
Mareike räusperte sich. »Das nächste Treffen ist heute Abend.«
»Gut. Die Sache bleibt unter uns. Kein Wort an jemand anderen aus dem Kommando!«
»Aber wir können doch nicht einfach so weitermachen, als wäre nichts geschehen«, protestierte Martin.
»Doch. Erstens darf der Maulwurf nicht wissen, dass wir ihm auf der Spur sind. Und zweitens: Falls das Bistum tatsächlich mit drinsteckt, haben wir ein hervorragendes Druckmittel, nämlich die Geschichte an die Öffentlichkeit zu bringen.«
»Ich weiß nicht«, meinte Martin skeptisch.
»Das Einzige, was wir erreichen können, ist ein Deal mit der Kirche. Sie verzichtet auf Strafverfolgung, dafür vergessen wir, was wir wissen. Die 500.000 müsst ihr euch natürlich aus dem Kopf schlagen.«
»Nein.« Mareike konnte ihre Enttäuschung nicht zurückhalten. »Alles soll umsonst gewesen sein? Da mache ich nicht mit.«
»Bleib auf dem Teppich!«, fuhr ich ihr in die Parade. »Hast du vergessen, dass die Polizei zwei von euch geschnappt hat? Was ist, wenn die beiden anfangen zu reden?«
»Das werden sie nicht.«
»Vermutlich hat er recht«, mischte sich Martin ein.
Da dröhnte vom Glockenturm der Klosterkirche ein einzelner Schlag herüber, und der Mönch schreckte zusammen. »Ich muss zurück ins Kloster.« Hastig schüttelte er mir die Hand. »Hoffentlich haben Sie Erfolg!«
»Könnte Martin der Verräter sein?«, fragte ich Mareike, als wir wieder im Auto saßen.
»Martin? Unmöglich.«
»Er ist Priester, vergiss das nicht.«
»Aber die Idee, das Kommando Jan van Leiden zu gründen, stammt doch von ihm.«
Ich lächelte. »Genau das macht ihn ja verdächtig. Der Weihbischof ist ein Wiedertäuferexperte. Er und Monsignore Kratz könnten sich die Geschichte ausgedacht haben. Dann haben sie einen Geistlichen gesucht, der Kontakt zu kirchenkritischen Kreisen hat.«
Mareike war empört. »Du kennst Martin nicht. Er ist mit einem solchen Eifer bei der Sache …«
»Und wo war er gestern Morgen, als die Polizei am Ludgeriplatz beinahe die gesamte Gruppe verhaftet hätte?«
»Er darf das Kloster nur in Ausnahmefällen verlassen, das habe ich doch schon gesagt.«
Jedes weitere Nachbohren schien zwecklos, und ich machte den Vorschlag, ein verfrühtes Mittagessen zu uns zu nehmen, denn ich verspürte einen nagenden Hunger, ein Gefühl, das sich bei mir automatisch einstellt, wenn ich länger als eine halbe Stunde Auto fahre.
Mareike war der Appetit vergangen, aber sie willigte ein, einen Salat zu bestellen und mir beim Essen zuzusehen.
Beim nächstbesten Dorfgasthof hielten wir an. Die Speisekarte stammte aus jener Zeit, als Schweinepest und Rinderwahnsinn noch nicht zu grassierendem Vegetarismus geführt hatten.
Ich bestellte einen Rinderschmorbraten mit Rotkohl, und Mareike bekam, nachdem sich die Kellnerin ungläubig vergewissert hatte, einen kleinen Salat.
»Jeder ist verdächtig«, kam ich mit vollem Mund auf den heiklen Punkt zurück. »Auch du.«
»So?«, sagte Mareike spitz. »Kannst du das begründen?«
»Was weiß ich denn schon über dich, außer, dass deine Mutter das Opfer einer Teufelsaustreibung geworden ist?«
»Reicht das nicht?«
»Die Geschichte könnte erfunden sein.«
Mareike fixierte mich mit einem Geierblick. »Was willst du wissen?«
»Alles. Wo kommst du her? Wie alt bist du? Was machst du beruflich?«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin in Münster geboren, in
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