Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Frühstücksraum und versuchte, einen heißen Kaffee zu bekommen.
Ich schaffte es nicht. Vor den geöffneten Flügeltüren, den Kaffeeduft bereits in den Nüstern, fing mich Gabi ab.
»Hast du’s schon gehört? Muschi ist weg.«
»Wie weg?«
»Weg wie verschwunden, unauffindbar, missing.«
»Abgereist?«
»Nicht abgereist. Ihre Kleider hängen im Schrank, sie hat nicht ausgecheckt, die Polizisten haben nichts gesehen. Muschi hat sich einfach aufgelöst.«
Ich warf einen sehnsüchtigen Blick in den Frühstücksraum. Kaffee! Es war nicht die Zeit, sich alle Süchte abzugewöhnen. Ich hatte dem Alkohol entsagt, ich hatte darauf verzichtet, ein Millionär zu werden und mit einer Segeljacht durchs Mittelmeer zu kreuzen. Ich konnte und wollte nicht auch noch den Kaffee sein lassen.
»Georg, das ist das Ende. Wir können einpacken. Alles andere war zu verkraften. Wir haben Becher ersetzt, Wildkat ist ohnehin nicht so wichtig. Aber ohne Muschi ist die Produktion geplatzt.«
Ihre Worte drangen in mein Ohr, sie kamen sogar im Gehirn an, aber das Gehirn weigerte sich, die Informationen sinnvoll zu verarbeiten.
»Entschuldige, Gabi«, sagte ich. »Ich muss erst einen Kaffee trinken.«
»Kaffee? Du denkst an Frühstück, während alles zusammenbricht?«
»Ich will nichts essen, ich brauche nur ... ich meine, ohne Kaffee ...«
Sie wandte sich ab und ging davon. Ich wusste, sie war von mir enttäuscht. Aber ohne einen Schuss Koffein war ich so nützlich wie ein Crash Test Dummy.
»Ich komme gleich«, rief ich ihr nach. Sie antwortete nicht.
»Haben Sie einen Plastikbecher?«, fragte ich den Frühstückskellner.
»Bitte?«
»So ein weißes rundes Ding. Der amerikanische Präsident läuft immer damit herum.«
»Ich muss in der Küche nachfragen.«
»Tun Sie das! Und dann füllen Sie einen doppelten, nein, einen dreifachen Espresso hinein, mit viel Zucker und einem Schuss Milch, keine Büchsenmilch, ganz normale Milch!«
Er sah mich an, als wäre ich ein Penner, der sich verlaufen hätte.
»Ein dreifacher Espresso im Plastikbecher.«
»Sie haben richtig verstanden.«
»Möchten Sie dazu ein Brötchen in Aluminiumfolie?«
Mit dem Plastikbecher in der Hand schlenderte ich zum Foyer hinüber. Stürzenbecher und Tecklenburg waren auch da. Stürzenbecher hatte seine Lesebrille aufgesetzt und studierte irgendwelche Pläne. Er sah nicht so aus, als hätte er mehr als neunundfünfzig Minuten und vierzig Sekunden Schlaf gehabt.
»Wie ist sie rausgekommen?«, fragte ich ihn.
Stürzenbecher schaute nicht mal hoch. »Nicht. Jetzt. Wilsberg.«
Ich ging zu Gabi, die ein Handy an ihr Ohr hielt.
»Hast du einen Kaffee bekommen?«
»Ja. Danke.«
»Wie schön für dich.«
Ich verzichtete darauf, Poppelhove anzusprechen, der auf einem Sessel saß und seine rechte Hand anstarrte. Ich nahm einen Schluck Espresso und ging nach draußen. Es war ein herrlicher Tag, vorausgesetzt, man steht auf blauen Himmel, glühende Sonne und dreißig Grad im Schatten und hat noch nicht von den zwanzig Tagen Hitze, die vor diesem herrlichen Tag lagen, genug, vorausgesetzt, man hat seine Schirmmütze, seine Sonnenbrille und seine Zigarillos nicht im Zimmer vergessen, vorausgesetzt, es stört einen nicht, dass eine Leiche im Keller (oder wo auch immer) liegt und alle anderen nicht mit einem reden wollen.
Ich beschattete meine lichtempfindlichen Augen mit der bloßen Hand und ließ den Blick zum Horizont schweifen. Eine Hundertschaft Bereitschaftspolizei suchte den Wald ab.
Staatsanwalt Peters kam in Begleitung einiger gut gekleideter Herren, die nach hohen Tieren aus dem Polizeipräsidium rochen.
Und dann kamen die Journalisten. Zuerst einzeln, mit Fotoapparaten, Kassettenrekordern und Mikrofonen – so welchen wie das, an dem Wildkat gelutscht hatte – oder einfach nur mit einem zynischen Zug um die Mundwinkel behangen. Dann in Rudeln, mit Fernsehkameras und jungen adretten Frauen, die von anderen Frauen zurechtgemacht wurden, bevor sie Sätze in die Kameras sprachen wie: »Wir stehen hier vor dem Horrorhotel in Münster.«
Irgendwann trat eines der hohen Tiere aus dem Polizeipräsidium auf die Terrasse, und sofort witterte die Meute ein Interviewopfer. In dem Gedränge unbemerkt, schlüpfte Stürzenbecher vorbei. Er marschierte Richtung Wald, und ich marschierte hinterher.
»Keinen durchlassen!«, sagte er zu den beiden Polizisten, die den Weg bewachten. »Ich möchte nicht, dass die Bande im Wald herumtrampelt.«
»Stürzenbecher!«,
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