Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
trifft nicht zu«, redete Rausch in Richtung Kamera. »Das letzte Wort über das Kappenstein-Projekt ist noch nicht gesprochen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte!«
»Nur weg aus diesem beschissenen Kaff!«, raunte sie Axel Feldhaus und mir zu, während wir zu ihrem Dienstwagen eilten. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Stürzenbecher und drei seiner Paladine zur anderen Seite des Parkplatzes hasteten. Sehr wahrscheinlich waren sie nicht zu einem Fortbildungslehrgang in Basisdemokratie gekommen. Oberrat Lewandowski und seine SoKo glaubten wohl, dass sich der Grünen-Killer unter das Publikum mischen würde.
»Das wird Ärger geben«, maulte Axel Feldhaus, während wir nach Münster zurückfuhren.
»Die Oberbürgermeisterin hat ihn mir schon angekündigt«, bestätigte Jutta Rausch.
»Und warum hast du dich so defensiv verhalten? Unsere Haltung zum Kappenstein-Projekt ist eindeutig pro.« Der Jüngling schnappte nach Luft. »Hast du etwa doch Angst vor diesem Killer?«
»Und wenn es so wäre, mein Sohn«, mischte ich mich ein, »dann hättest du auch nicht einen Mucks daran auszusetzen. Du bist schließlich nicht in Gefahr, dir deine hübsche Kaschmir-Jacke blutig zu machen.«
»Nun hört auf, alle beide!«, kommandierte die Kämmerin. »Ich kann dich beruhigen, Axel. Es war nicht die Angst vor dem Killer, es war Strategie. Man muss über den Tag hinaus denken. Für meine weitere Karriere wäre es sicherlich nicht förderlich, wenn ich in den Ruf geriete, mich gegenüber der Partei illoyal zu verhalten. In der momentanen Situation ist es taktisch erforderlich, dass ich mich ein Stück zurücknehme. Bis sich die Stimmung gegen das Kappenstein-Projekt beruhigt hat.«
Conny Guttweller wohnte in einem rosafarbenen Jugendstilhaus am Rande des Südparks. Als sie die Tür öffnete, begann im Hintergrund ein Baby zu schreien. Ich kannte die Situation aus meiner jüngsten Vergangenheit. Wie oft hatte ich versucht, gleichzeitig Sarah zu beruhigen und ein Gespräch mit einem anderen Erwachsenen zu führen? Es war fast immer zwecklos.
Conny schlug vor, einen Spaziergang durch den Südpark zu machen. Im rollenden Kinderwagen würde Jana, so hieß das Baby, hoffentlich einschlafen.
Wir mussten nur die Straße überqueren, und schon waren wir in der gut zwei Fußballfelder großen Grüninsel, die einer schlafwandlerischen Eingebung der Stadtplaner zufolge noch nicht bebaut worden war. Dominik, der dreijährige Sohn von Conny, hatte einen kleinen Fußball mitgenommen, und solange ihn seine Schussversuche nicht völlig frustrierten, hatten wir eine gute Chance, ein paar Sätze zu wechseln.
»Wie geht’s dir eigentlich?«, fragte Conny.
»Man schlägt sich so durch«, antwortete ich.
»Wie ich hörte, hast du auch Nachwuchs bekommen.«
»Meine Frau und ich leben getrennt. Sarah ist zurzeit bei meinen Schwiegereltern.«
»Bist du deswegen traurig?«
Ich seufzte. »Ich habe schon glücklichere Zeiten erlebt.«
Ihre grünen Augen lächelten mich an. Hinter ihnen schimmerte ein Gefühl, das auch ich vom ersten Moment an gespürt hatte, als ich sie wiedersah. Wir beide hatten es in einer Kiste für erledigte Fälle abgelegt. Und wahrscheinlich würde es jetzt überhaupt nicht mehr zu uns passen, wenn wir es ausgraben würden.
»Ich hole sie manchmal am Wochenende ab, Sarah, meine ich, und dann spielen wir ein bisschen zusammen.«
Conny nickte.
»Und wie geht es dir, abgesehen davon, dass du ein glückliches Familienleben führst?«, spielte ich den Ball zurück.
»Das Dasein als Hausfrau und Mutter ist nicht besonders aufregend. Die Gespräche am Spielplatzrand drehen sich immer nur um drei Themen: Kinder, Kinder, Kinder.«
»Du hast die Politik.«
»Ja, und es macht mir auch Spaß. Trotzdem fehlt mir der Beruf.« Sie warf den Kopf in den Nacken. »Du wolltest mit mir über Martin und Berthold reden.«
»Ja. Hast du eine Ahnung, warum sie ermordet wurden?«
»Ich?« Sie schaute mich erstaunt an. »Wie kommst du darauf?«
»Sie waren Befürworter des Kappenstein-Projekts. So wie du.«
»Das stimmt. Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht.«
»Conny, denk einmal genau nach: Ist dir in den letzten Tagen oder Wochen irgendetwas Merkwürdiges aufgefallen? Hattest du das Gefühl, verfolgt zu werden? Hast du Anrufe bekommen, die du nicht einordnen konntest, vielleicht sogar Drohungen, Drohbriefe oder Ähnliches?«
»Nein.« Sie schüttelte spontan den Kopf. »Nichts.«
Dominik kam heulend zu uns gerannt.
Weitere Kostenlose Bücher